Was das Medium mit der sozialen Arbeit macht. Reflexionen zum Einsatz der Computertechnologie in der pädagogischen Praxis.

Christian Swertz

1. Einleitung

Sind sie drin? Noch nicht? Dann aber schnell!

Computer und das Internet haben sich in unserer Gesellschaft weithin durchgesetzt. Nicht bei allen, und nicht bei allen gleich; aber empirische Erhebungen weisen an Arbeitsplätzen, in der Politik und in der privaten Nutzung eine erhebliche Computer- und Internetnutzung nach. Und auch wenn Sie persönlich keinen Computer benutzen, werden sie die Auswirkungen dieser Verbreitung spüren. Diese Auswirkungen machen sich auch in pädagogischen Handlungsfeldern wie der sozialen Arbeit bemerkbar. Angefangen von der Administration über Selbstdarstellungsseiten im World Wide Web, bis hin zu Beratung und Therapie – es gibt kaum einen Aspekt der sozialen Arbeit, in dem der Einsatz von Computern noch nicht ausprobiert wurde, und der durch die Verbreitung von Computertechnologie nicht verändert wird.

Die Gründe für die Nutzung von Computern in pädagogischen Handlungsfeldern sind dabei oft keine pädagogischen Gründe: Gelegentlich wird das Interesse der Lernenden, die oft fasziniert von Medien- und Computerprojekten sind, zur Begründung herangezogen. Das ist plausibel, da Computertechnologie im privaten Bereich weit verbreitet ist: Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren nutzen laut der ARD/ZDF-Online-Studie 2002 das Internet im Durchschnitt 59 Minuten pro Tag. Das Internet liegt damit in der Nutzungsdauer an dritter Stelle nach dem Hörfunk mit 163 Minuten und dem Fernsehen mit 117 Minuten täglich (Eimeren 2003: 73). Zwar sind diese Daten nur begrenzt belastbar. Sie machen aber die zunehmende Nutzung von Computern durch Kinder und Jugendliche im Alltag und damit die Relevanz von Computertechnologie für eine Pädagogik, die von den Lernenden ausgeht, deutlich.

Häufiger als das Interesse der Lernenden werden wirtschaftliche und politische Interessen genannt: Computer sollen verwendet werden, weil sie in der Wirtschaft weit verbreitet sind. Auch diese Begründung ist plausibel: Pädagogische Arbeit findet in einer Gesellschaft statt, die nicht nur die Finanzierung der pädagogischen Arbeit sicherstellt, sondern auch ihre Interessen und Probleme geltend macht. Ein derzeitiges Problem ist der Umstand, dass es einen steigenden Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften gibt, der mit einer zunehmenden Verbreitung computergesteuerter Arbeitsmittel einhergeht: Während 1979 an ca. 20% der Büroarobeitsplätze computergesteuerte Arbeitsmittel eingesetzt wurden, ist dieser Wert bis 1999 auf 93% gestiegen (Troll 2000: 1), gleichzeitig sinken die Chancen gering Qualifizierter auf dem Arbeitsmarkt; ein Problem, zu dessen Lösung von der Pädagogik ein Beitrag erwartet wird. Diese Erwartung drückt sich z.B. in der gezielten Vergabe von Fördermitteln für den Einsatz von Computern in pädagogischen Handlungsfeldern aus. Dass die pädagogische Praxis von wirtschaftlichen oder politischen Interessen beeinflusst wird ist dabei weder neu noch überraschend: Von der Staatslehre Platons über die Kloster- und Industrieschulen bis zur Stabilisierung der Ausgrenzungsstrukturen in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem ist pädagogische Praxis mit politischen und wirtschaftlichen Interessen verbunden. Überraschend ist aber, dass die bildungstheoretische Reflexion im Falle der neuen Medien auch bei Pädagoginnen und Pädagogen zur Zeit eine gegenüber wirtschaftlichen Interessen untergeordnete Rolle spielt.

Dabei ist es keineswegs überflüssig geworden zu fragen, worauf wir uns einlassen, wenn wir durch pädagogische Praxis dazu beitragen, eine Computergesellschaft herbeizuführen und zu stabilisieren: Verantwortliches und professionelles Handeln erfordert eine Reflexion der eigenen Tätigkeit. Denn Computertechnologie löst nicht von sich aus pädagogische Probleme oder erfüllt pädagogische Aufgaben, und es ist auch nicht nur deswegen erforderlich, Computer in der sozialen Arbeit oder in Schulen einzusetzen, weil Computer in der Wirtschaft weit verbreitet sind, denn das gilt für Autos oder Videorecorder auch – aber eine Forderung nach Fahrunterricht oder Videorecorderprogrammierkunde an Schulen gibt es trotzdem nicht.

Die bildungstheoretische Analyse ist erforderlich, um den sinnvollen Einsatz von Computertechnik in der pädagogischen Praxis aus wissenschaftlich begründeten Überlegungen heraus gestalten zu können. Wie kann das angegangen werden? Die Frage nach der Funktion von Computern in der Pädagogik so zu stellen macht es erforderlich, zunächst den eigenen Standpunkt zu klären. Ich vertrete hier einen wissenschaftlichen Standpunkt. Ein wissenschaftlicher Standpunkt kann nicht behaupten, der einzig gute und richtige zu sein. Er kann aber durch eine methodische Argumentation belegt werden.

Methodisch ist mein Ansatzpunkt der Umstand, dass wir zwar immer interessengeleitet Handeln, dies aber zugleich wissen und uns damit die Grundlagen des Handeln bewusst machen können. Das Werkzeug dazu ist die Sprache, und je besser wir sprechen können und je mehr Dinge wir ausdrücken können, desto besser können wir auch bewusst handeln. Wenn es nun neue Phänomene gibt, wie z.B. die Computertechnik, dann ist die Frage, ob die Sprache, die wir haben, um diese Phänomene zu verstehen, noch passen, oder ob wir die begrifflichen Werkzeuge anpassen müssen, ob sich also die Bedingungen des Sprechens verändert haben. Es ist anzunehmen, dass Computertechnologie eine solche Anpassung erforderlich macht, weil Medien nicht nur unser Handeln, sondern auch unsere Vorstellungen von Wahrheit, von Zusammenleben und von Bildung verändern (Seesink 2004, 80ff.). Medien müssen daher als ein Moment von Bildungstheorie berücksichtigt werden.

Für die Computertechnologie hat Meder 1998 eine bildungstheoretische Analyse vorgelegt. Er hat gezeigt, wie sich unsere Vorstellungen von Bildung durch die Computertechnologie verändern. Sein Ergebnis ist, dass Computertechnologie ein bildender Gehalt zugesprochen werden kann: Computertechnologie legt zweifach reflexives Denken nahe, d.h: Es geht nicht nur darum, wie man über etwas nachdenkt, sondern auch darum, wie man über das Nachdenken nachdenkt. Diese Denkweise ist auch Kennzeichen methodischen, d.h. wissenschaftlichen Denkens. Diese Denkweise kennzeichnet den Sprachspieler als Bildungsideal der Computergesellschaft.

Wenn Computertechnologie ein bildender Gehalt zugesprochen werden kann, ist der praktische Einsatz lohnend. Ich werde hier die bildungstheoretischen Fragen am Beispiel der Unterscheidung von heißen und kalten Medien diskutieren. Daran anschließend werde ich als ein Konzept für den praktischen Einsatz von Computern in der Pädagogik die Web-Didaktik für den Bereich des E-Learning vorstellen.

2. Veränderung sozialer Arbeit in der Computergesellschaft

Medien beeinflussen unsere Vorstellungen von der Welt, von anderen Menschen und von uns selbst: Die Schilderung eines Tigers in einem Buch fühlt sich anders an als ein Film über Tiger. Ich bekomme eine andere Vorstellung vom Tiger, wenn ich das Buch lese oder den Film sehe. Die Veränderung meiner Vorstellungen werden vom Medium induziert. Meine Frage ist, was mit der sozialen Arbeit, mit den hauptamtliche Beschäftigten und den Kindern und Jugendlichen passiert, wenn Computer eingesetzt werden.

Der Zusammenhang von Medien und Bildung lässt sich mit der systemtheoretischen Verständigungstheorie von Hönigswald zeigen. Verständigung ist immer Verständigung über etwas: Das können Kenntnisse, Fertigkeiten, Gefühle oder Einstellungen, d.h. Wissen im weitesten Sinne. Wissen existiert dabei nicht an sich, sondern im Kontext einer Kultur. In der Kultur findet ein Austausch über Wissen statt, und umgekehrt meint Kultur immer, das Wissen zwischen Menschen ausgetauscht wird, d.h.: der Sinn von Wissen entsteht in der Verständigung zwischen Menschen (Hönigswald 1926: 31).

Der Verständigungsprozess läuft in drei Schritten ab: Im ersten Schritt wird das Wissen von einem Menschen geäußert. Das Wissen muss dazu mit dem Anspruch der Verständigung geäußert werden, und es muss in einem sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand, z.B. in einem Manuskript oder in gesprochener Sprache ausgedrückt werden. Die bewussten und unbewussten Verständigungsansprüche werden auf den Gegenstand übertragen, d.h. der Verständigungsanspruch liegt im zweiten Schritt unabhängig von dem Menschen, der den Verständigungsanspruch geäußert hat, im Gegenstand vor. Im dritten Schritt erfolgt die Zustimmung oder Ablehnung des Verständigungsanspruchs durch einen Menschen.

An der Verständigung ist also ein Mensch, ein Gegenstand und Wissen beteiligt. Diese Momente kennzeichnen Medien: Medien sind Gegenstände, die von Menschen zu Zeichen gemacht werden (Swertz 2001). Was heißt das? Ein Medium ist immer ein Gegenstand in der Welt, z.B. ein Baumstamm, ein Stück Papier oder die Luft. Dieser Gegenstand alleine ist noch kein Medium. Die Farbe auf dem Papier bedeutet nicht, dass da Farbe auf dem Papier ist, sondern dass Sie 100 Euro in der Hand haben. Der Gegenstand steht also für etwas anderes. Der Gegenstand wird von einem Menschen zu einem Zeichen gemacht, d.h.: Ein Mensch legt einen Sinn in den Gegenstand. Dieser Sinn bleibt auch dann in dem Gegenstand erhalten, wenn derjenige, der ihn hineingelegt hat, längst weg ist. Sie können z.B. ein Buch lesen und verstehen, auch wenn die Autorin oder der Autor nicht dabei ist.

Wenn eine Autorin oder ein Autor ein Buch schreiben, werden Ideen, Gefühle, Überzeugungen etc. in das Buch hineingelegt. Das gleiche passiert, wenn ein Computer gebaut wird: Die Entwickler denken nach, konstruieren, entwerfen, und stecken so bewusst oder unbewusst einen Sinn in den Computer. Auch Software wird konzipiert, entworfen und implementiert und erhält so einen Sinn. Wenn diese Software nun ein E-Mail-Programm ist, und jemand benutzt dieses E-Mail-Programm, um einen Brief zu schreiben, dann wird ein doppelter Sinn transportiert: Der Sinn, den derjenige hinterlassen hat, der die Software entwickelt hat, und der Sinn, den der Briefeschreiber hinterlassen hat.

Wenn Sie eine E-Mail mit einem Computer lesen, dann konzentrieren sie sich auf den Brief. Der Sinn, der in der Software steckt, kommt unbewusst an. McLuhan hat aus diesem Grund den Inhalt eines Mediums (die E-Mail) mit einer Anlogie beschrieben: Der Inhalt des Mediums ist wie die Wurst, die ein Einbrecher mitbringt, um die Hunde zu beruhigen. Der Inhalt lenkt von der Wirkung ab, die vom Gegenstand ausgeht.

Dass Medien als Gegenstände bestimmte Effekte haben ist trivial: Das Fernsehen überträgt z.B. keine Gerüche. Darum können sie eine Fernsehmoderatorin oder einen Fernsehmoderator am Fernseher nicht riechen – ob sie das wollen oder nicht. Die einzige Möglichkeit, die Sie haben, um dieser Wirkung zu entgehen, ist es, das Medium nicht zu benutzen. Wenn Sie aber einen Fernseher, einen Computer oder ein Handy benutzen, dann können sie im Gebrauch des Mediums dem in den Gegenstand hineingelegten Sinn nicht entgehen. Sie müssen sich an die Struktur des Mediums anpassen: Sie können sich zu anderen Menschen nur auf die Art in Verbindung setzen, die das Medium zulässt. Auch wenn Sie Medien benutzen, um über sich selbst nachzudenken, z.B. in Form eines Tagebuchs, einer Ton- oder Videoaufzeichnung oder eines Weblogs, dann können sie auch das nur machen, wenn Sie sich an die gegenständliche Struktur des Mediums anpassen. Das Medium als Gegenstand hat einen Effekt, der z.B. durch eine nach pädagogischen Kriterien gestaltete Software genutzt werden kann.

Weil wir uns an die gegenständliche Struktur eines Mediums anpassen müssen, bauen wir eine bestimmte Haltung, einen medialen Habitus auf, der es uns erlaubt, mit dem Medium intuitiv umzugehen: Wenn kleine Kinder die ersten Male telefonieren nicken sie noch. Erwachsene vermeiden das unbewusst. Der mediale Habitus führt umgekehrt zu bestimmten Erwartungen. Ähnlich wie wir Rollenerwartungen meist unbewusst ausdrücken, wirkt der mediale Habitus meist unbewusst. Diese unbewussten Erwartungen verändern die soziale Arbeit. Sie zu verstehen ist wichtig, um die Wirkungen, die Medien auf uns haben, benennen und bewusst gestalten zu können.

Der mediale Habitus führt zu einem medieninduzierten Wandel sozialer Arbeit. Das ist unproblematisch, wenn der mediale Habitus der Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zum medialen Habitus der Kinder und Jugendlichen passt, wenn sie z.B. eher fernsehen als Bücher lesen. Kompliziert wird es, wenn Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter einen anderen medialen Habitus als die Kinder und Jugendlichen mitbringen, oder wenn eine neue Zielgruppe angesprochen werden soll, die einen anderen medialen Habitus als die bisherige Zielgruppe aufweist. In solchen Fällen ist eine bewusste Gestaltung erforderlich. Dafür ist die Unterscheidung von heißen und kalten Medien hilfreich.

2.1 Die heiße Botschaft des kalten Mediums

Abbildung 1: Heiße und kalte Medien

Die Unterscheidung von heißen und kalten Medien bezieht sich auf die physikalische Struktur der Medien. Was ist ein Computer für ein Gegenstand? Computer sind vom Großrechner bis zum Handy ähnlich gebaut: Es sind digitale elektrische universelle Turingautomaten. Welcher Sinn steckt in so einem Gerät?

McLuhan unterscheidet heiße und kalte Medien an der Auflösung, der Anzahl der angesprochenen Sinne, der seriellen bzw. individuellen Struktur und dem linearen und parallelen Charakter (Abbildung 1). Heiße Medien haben eine höhere Auflösung als kalte Medien, sprechen mehr Sinne an, sind serieller und linearer, d.h. es werden immer gleiche Exemplare produziert, in denen die Inhalte in eine lineare Abfolge gebracht werden. Kalte Medien haben eine geringe Auflösung, sprechen weniger Sinne an, sind individueller und paralleler. Diese Einteilung ist relativ gedacht: Ein Medium ist nicht an sich heiß, sondern heißer als ein anderes. Es lässt sich nicht sagen: Der Buchdruck ist ein kaltes Medium, sondern: Der Buchdruck ist kälter als das Fernsehen. Medien müssen verglichen werden.

Der Vergleich von Buchdruck und Computern zeigt deutliche Unterschiede: Der Buchdruck hat eine höhere Auflösung (ca. 2400 dots per inch) als Computerbildschirme (ca. 75 dots per inch). Der Buchdruck spricht nur einen Sinn an (Sehsinn), Computer sprechen – entsprechend ausgestattet – mehrere Sinne (Sehsinn, Hörsinn, Tastsinn) an. Computertechnik liefert individuelle Zugangsweisen (z.B. die individuelle Navigation in einem Hypertext), während mit dem Buchdruck eine Serie immer gleiche Exemplare produziert wird. Und Computer liefern eher bildhafte Informationen (z.B. Icons auf dem Desktop), bei denen die Informationen parallel wahrgenommen werden, während im Buch die Informationen in eine lineare Buchstabenfolge aufgelöst werden. Im Vergleich von Computertechnik und Buchdruck ist also die Computertechnologie ein kaltes Medium und der Buchdruck ein heißes Medium. Welchen Sinn übermittelt ein solches Medium an die Nutzerinnen und Nutzer?

2.2 Intensität und Unverbindlichkeit

Um diese Frage zu beantworten unterscheidet McLuhan heiße und kalte Kulturen: Eine kalte Kultur ist durch einen distanzierten medialen Habitus gekennzeichnet; eine heiße Kultur durch eine involvierenden. Entscheidend ist dabei die sinnliche Wahrnehmung: Die hohe Auflösung des Buchdrucks macht in der sinnnlichen Wahrnehmung der gedruckten Buchstaben nur wenige Ergänzungen durch die Leserinnen und Leser erforderlich. Die Buchstaben sind scharf und präzise gedruckt. Zugleich müssen die Leserinnen und Leser Bilder und Töne aus ihren Vorstellungen ergänzen. Die Ergänzung aus den eigenen Vorstellungen bei gleichzeitiger dichter sinnlicher Wahrnehmung führt zu einer Distanz vom Text. Die Leserinnen und Leser bauen einen distanzierten medialen Habitus auf.

Dagegen liefert der Computerbildschirm Bilder in geringerer Auflösung. Wegen des geringen Detailreichtums, d.h. im Vergleich zum Druck z.B. unscharfen Bildern, müssen die Rezipientinnen und Rezipienten die Details in der sinnlichen Wahrnehmung ergänzen. Gleichzeitig sind weniger Ergänzungen aus den eigenen Vorstellungen erforderlich, weil Töne und Bewegungen mit dargestellt werden. Durch die auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmungen erforderlichen Ergänzungen und den geringeren Rückgriff auf die eigenen Vorstellungen werden die Nutzerinnen und Nutzer gleichsam in das Medium involviert. Sie bauen einen medialen Habitus auf, der durch die Erwartung hoher Beteiligung gekennzeichnet ist. Wenn die Computertechnologie das dominante, d.h. überwiegend verwendet Medium ist, führt das zu einem involvierenden medialen Habitus. Ein aktuelles Beispiel für diese Tendenz sind SMS-Shows im Fernsehen, bei denen die Zuschauerinnen und Zuschauer in höherem Maße involviert werden, ohne damit eine verbindliche Beziehung einzugehen. Wenn der Buchdruck als dominantes Medium verwendet wird, führt das zu einem distanzierenden medialen Habitus. Das heißt: Ein kaltes Medium forciert eine heiße, involvierende Kultur, ein heißes Medium forciert eine kalte, distanzierte Kultur.

Der durch ein dominant verwendetes Medium übermittelte mediale Habitus führt nun zu der Erwartung, dass die Informationspräsentation in anderen Medien ebenfalls eine solche Struktur aufweist. Wird dieser Haltung nicht entsprochen, führt das zu Ablehnung und Unverständnis. Mit einer involvierenden Erwartung ist also bei Kindern und Jugendlichen zu rechnen, die Fernsehen (das im Vergleich zum Buchdruck kalt, im Vergleich zur Computertechnologie jedoch heißer ist) und Computer als dominante Medien verwenden. Sie erwarten, dass sie persönlich beteiligt und involviert werden. Eine „Computergeneration“ wird also erwarten, dass sie in hohem Maße involviert wird. Ein Effekt dieser Tendenzen ist z.B. die zunehmende Verbreitung von Gruppenarbeit in Schulen. Gruppenarbeit als involvierende Methode ist für Kinder und Jugendliche, die dominant kalte Medien verwenden, akzentabler als der distanzierende Frontalunterricht.

An dieser Stelle ergänzen die Analysen von Norbert Elias das von McLuhan skizzierte Bild. Elias (1996) hat gezeigt, dass unser Verhältnis zur Gemeinschaft sich mit der Anzahl der verfügbaren Integrationsebenen verändert. Während in dörflichen Strukturen nur wenige Gruppen existieren, zu denen wir uns in Beziehung setzen können, gibt es in Städten zahlreiche Gruppen, die als Integrationsebenen fungieren können. Wenn es viele Gruppen gibt, dann wird der Wechsel zwischen den Gruppen leichter und die Verbindlichkeit der Teilhabe an einer Gruppe sinkt. Diese von Elias für städtische Strukturen beschriebene unverbindliche Gruppenzugehörigkeit wird in Online-Kommunikationsräumen potenziert. Online-Kommunikationsräume bilden so gesehen kein globales Dorf, sondern eine globale Stadt.

Diese Erwartung involvierender Beteiligung ist daher verbunden mit der Erwartung unverbindlicherer Beziehungen. In einer Stadt lässt nach Elias die unverbindliche und daher kürzere Dauer der Teilhabe an Gemeinschaften das Individuum als das einzig Permamente hervortreten. Von hier aus gesehen können Individualisierungstendenzen als ein Geltungsanspruchs der Computertechnologie verstanden werden. Die Individualisierung und der involvierende mediale Habitus sind Effekte der Computertechnologie.

Neben den Veränderungen von sozialen Beziehungen sind mit der Verbreitung der Computertechnologie Veränderungen in gesellschaftlichen Strukturen verbunden.

2.4 Globalisierung und Rationalisierung

Die Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen hat Innis (1997) auf die Speicherdauer und der Transportgeschwindigkeit von Informationen zurückgeführt. Vernetzte Computertechnik speichert Informationen extrem kurz und transportiert sie sehr schnell. Die kurze Speicherdauer wird sichtbar wenn man einen Computer ausschaltet: Die gespeicherten Informationen sind fast sofort verschwunden. Auch die Haltbarkeit von Datenträgern, die z.B. bei einer Diskette bei ca. 10 Jahren liegt (wenn es dann noch ein passendes Laufwerk gibt), ist im Vergleich zur Haltbarkeit von Papier, die bei ca. 500 Jahren liegt, sehr kurz. Und die Speicherdauer von Papier ist kurz im Vergleich zu den Steintafeln, auf denen Moses die 10 Gebote erhalten hat. Steintafeln können dagegen nur mühsam transportiert werden: Weltweiter Zugang zu Wissen ist mit Steintafeln als physikalischem Träger nicht zu machen.

Kurze Speicherung von Information bei gleichzeitiger weltweiter Verfügbarkeit eignet sich, wie Innis (1997) gezeigt hat, nicht für die Förderung von Ideen der Fortdauer, Religion und dezentraler politischer und wirtschaftlicher Macht, sondern für die Förderung der Ideen von Verwaltung, Recht und zentraler politischer und wirtschaftlicher Macht. Die Ideen von Verwaltung, Recht und zentraler Macht sind ein Sinn, der in der Computertechnik ausgedrückt ist. Die Marginalisierung von Religion, die Verrechtlichung und die Zentralisierung von politischer und wirtschaftlicher Macht sind aber auch Kennzeichen von Globalisierung und Internationalisierung, die durch die Computertechnik befördert werden. Dazu leistet die Pädagogik einen Beitrag, wenn Computertechnik in pädagogischen Handlungsfeldern eingesetzt wird.

Neben der Transportgeschwindigkeit ändert sich mit dem Medium die Sinnzuweisung zu Zeichen. Dieser Effekt ist an die Menge übermittelbarer Zeichen gebunden. Mit Steintafeln können nur wenige Buchstaben übermittelt werden, mit der Computertechnik ist es dagegen leicht, in kurzer Zeit viele Buchstaben zu schreiben und zu übermitteln. Wenn nur wenige Buchstaben übermittelt werden können, ist es, um die gleiche Menge Sinn zu übermitteln, erforderlich, viel Sinn pro Zeichen zu transportieren. Daher müssen z.B. die auf Steintafeln formulierten 10 Gebote interpretiert werden, während ein Icon auf dem Desktop einen eindeutigen, und dazu noch explizit in der Software formulierten Sinn hat. Der Interpretationsraum der 10 Gebote ist wesentlich größer als der des Icons auf dem Desktop. Der explizite Ausdruck der Bedeutung von Zeichen ist aber charakteristisch für rationales Denken, das daher durch die Computertechnologie forciert wird. Wie kann ein solches Medium sinnvoll pädagogisch genutzt werden?

3. Web-Didaktik

Abbildung 2: Schematik der Webdidaktik

Wenn ein Medium in der pädagogischen Praxis eingesetzt wird, muss die Struktur des Mediums berücksichtigt werden. Wissen muss in einer dem Medium angemessenen Form präsentiert werden: Mit einem Fernseher liest man keine langen Texte, auch wenn das technisch möglich wäre.

Die Berücksichtigung der medialen Strukttur der Computertechnologie ist der Ansatzpunkt der Web-Didaktik. Um Wissen für Computer angemessen aufzubereiten muss zum einen der Inhalt so aufbereitet werden, dass er individuell erschlossen werden kann. Zum anderen muss die didaktische Bedeutung des Inhalts expliziert, d.h. ausdrücklich benannt werden, um der rationalen Struktur gerecht zu werden.

Eine medienadäquate Wissensorganisation erfordert im Falle der Computertechnologie damit die Produktion von individuell navigierbaren Hypertexten aus bildschirmgroßen Wissenseinheiten, deren didaktische Bedeutung explizit ausgewiesen wird. Das Kernproblem dabei ist es, die individuelle Navigation durch geeignete Navigationshilfen zu ermöglichen. Dieses Problem wird mit der von Norbert Meder entwickelten Webdidaktik gelöst.

Nach dem Konzept der Web-Didaktik werden bildschirmgrosse Wissenseinheiten mit für den Lernprozess wichtigen Wissensarten und Medientypen zu Lerneinheiten zusammengestellt (Abbildung 2). Die Webdidaktik enthält eine Systematik aus allen Medientypen und Wissensarten, die sich in der didaktischen Tradition als sinnvoll erwiesen haben. Als Medientypen werden Text, Film, Animation etc. unterschieden. Die Wissensarten werden zunächst in rezeptives Wissen (nur anschauen/hören), interaktives Wissen (Simulationen oder Selbstkontrollaufgaben) und kooperatives Wissen (Austausch mit anderen) unterschieden. Rezeptives Wissen wird auf der zweiten Ebene in Orientierungswissen, Handlungswissen, Erklärungswissen und Quellenwissen unterschieden usw.

Alle Wissensarten zu einem Thema bilden eine Lerneinheit. Das Thema jeder Lerneinheit muss für die Lernumgebung eindeutig sein, damit es leicht wiedergefunden werden kann. Die Lerneinheiten werden durch typisierte Relationen (z.B.: „ist Teil von“ oder „besteht aus“) miteinander verbunden. Dazu wird eine Systematik von Relationstypen angeboten (zur vollständigen Systematik der Web-vgl. Meder 2003).

Mit den Medientypen, Wissensarten, Themen und Links wird die didaktische Bedeutung einer Bildschirmseite abgebildet. Aus diesen Informationen werden Navigationswerkzeuge für die Lernenden erzeugt. Navigationswerkzeuge für das selbstgesteuerte Lernen sind z.B. ein Index, eine Gliederung (Katalog) oder eine Wissenslandkarte. Darüber hinaus kann das Wissen anhand der explizierten didaktischen Bedeutung automatisch nach didaktischen Modellen (z.B. entdeckendes Lernen oder induktives Lernen) angeordnet werden, z.B. erfordert ein handlungsorientierter Lernverlauf innerhalb einer Lerneinheit die Reihenfolge Orientierungswissen – Handlungswissen – Beispiel – Erklärungswissen – Aufgabe – Diskussion. Daraus lässt sich umgekehrt für die Produzenten folgern, dass all diese Wissensarten zu jedem Thema der Lernumgebung vorhanden sein müssen, wenn handlungsorientiertes Lernen möglich sein soll.

Durch die Verbindung von Werkzeugen zur freien Navigation mit didaktischen Lernverläufen können die Lernenden selbt entscheiden, ob sie lieber selbst- oder fremdgesteuert vorgehen wollen – und wie sie sich fremdsteuern lassen wollen. Die Web-Didaktik ermöglicht durch diese Struktur damit zum einen die medienadäquate Inhaltsproduktion und zum anderen ein Lernen, dass dem medialen Habitus von „Computerkidsentspricht. Indem damit nicht nur der Inhalt gelernt wird, sondern auch die Mittel zum selbstgesteuerten Lernen an die Hand gegeben werden, wird auch der zweifachen Reflexionsstruktur der Computertechnologie entsprochen (zu weiteren Details vgl. http://www.lerndorf.de).

4. Resümee

Die Verwendung von Computertechnologie in pädagogischen Handlungsfeldern forciert intensive und unverbindliche Beziehungen. Gleichzeitig wird Globalisierung und Individualisierung gefördert. Diese nicht immer begrüßenswerten Tendenzen (Lohmann/Rilling 2002), deren Risiken sich z.B. an der Digitalen Spaltung zeigen (Kutscher 2003), gehen mit der Chance der Bildung im Sinne eines rationalen Vernunftgebrauchs einher. Ein sinnvoller Einsatz der Computertechnologie ist mit der Web-Didaktik möglich, erfordert aber eine ständige Skepsis: Mit der Nutzung der Computertechnologie wird das rationale und wissenschaftliche Denken im Medium versteckt zum normativen Ideal, ohne dass wir sicher sein können, dass dieses Denken an sich gut ist. Da es sich prinzipiell nicht vermeiden lässt, eine Norm zu setzen, ist das Ideal vernünftigen Denkens in der Konkurrenz zu anderen Idealen (z.B. effizienten Human Ressources, staatstragenden Bürgern oder gottesfürchtigen Menschen) wohl das beste, das wir in den Mittelpunkt stellen können, ohne andere Ideale damit auszuschließen. Dies skeptisch (Fischer 1989, Ruhloff 1996) zu berücksichtigen macht die Herausforderung eines guten und sinnvollen Gebrauchs von Computern in der Pädagogik aus.

Literatur

Eimeren, Birgit van: Internetnutzung Jugendlicher. In: Media Perspektiven (2) 2003, S. 67-75.

Fischer, Wolfgang: Unterwegs zu einer skeptisch-transzendentalkritischen Paedagogik. Sankt Augustin 1989.

Elias, Norbert: Die Gesellschaft der Individuen. Frankfurt am Main 1996.

Innis, Harold A. : Tendenzen der Kommunikation Springer: Wien, New York 1997.

Lohmann, Ingrid; Rilling, Rainer (Hrsg.): Die verkaufte Bildung. Opladen 2002.

Kutscher, Nadia: Informelle Bildung und digitale Spaltung. In: Spektrum Freizeit (2) 2003, S. 51-64 (Themenheft: Informelle Bildung, Wissen und Medien)

Ruhloff, Jörg: Bildung im problematisierenden Vernunftgebrauch. In: Borelli, M.; Ruhloff, J. (Hg.):Deutsche Gegenwartspädagogik Bd. I. Hohengehren 1996, S. 148-157.

Meder, Norbert: Neue Technologie und Erziehung/Bildung. In: Borelli, M.; Ruhloff, J. (Hg.): Deutsche Gegenwartspädagogik Bd. III. Hohengehren 1998, S. 26-40.

Meder, Norbert: Didaktische Anforderungen an Lernumgebungen. In: Ehlers, U.-D. (u.a.): E-Learning-Services. Bielefeld 2003, S. 50-69.

McLuhan, Herbert Marshall: Die magischen Kanäle. Understanding Media Econ: Düsseldorf (u.a.) 1992.

Seesink, Werner: In-formatio. Münster 2004.

Swertz, Christian: Computer und Bildung. Bielefeld 2000.

Troll, Lothar: Sättigungstendenzen in einer veränderten Bürolandschaft. In: IAB Kurzbericht 2000 (17), S. 1-8.