Christian Swertz

Selbstevaluation im Online-Lernen

1. Einleitung

1.1 Selbst- und Fremdsteuerung

Selbstevaluation im Online-Lernen zielt darauf ab, die Lernenden in der Selbststeuerung ihres Lernprozesses zu unterstützen. Die Selbststeuerung von Lernprozessen wird hier im Zusammenhang des Online-Lernens diskutiert. In der Theorie des Online-Lernens wird der Gegensatz von fremd- und selbstgesteuertem Lernen bzw. Systemkontrolle und Lernerkontrolle gegenübergestellt (Leutner 1997: 146). Diese Begriffe werden als kontradiktorisch betrachtet, um aus der Differenz zu einer Entscheidung zwischen fremd- und selbstgesteuertem Lernen zu kommen, die meist für selbstgesteuertes Lernen ausfällt. Als Entscheidungsfelder des selbstgesteuerten Lernens werden dann die Ziele des Lernprozesses, die Inhalte des Lernprozesses, der Lernweg, die Lernregulierung und die Überprüfung des Lernerfolgs genannt (Brinkmann 2000: 55). Diese Entscheidungsfelder selbstgesteuerten Lernens entsprechen weitgehend den didaktischen Entscheidungsfeldern der Berliner Didaktik (Heimann 1976). Es werden also Entscheidungsfelder für selbstgesteuertes Lernen verwendet, mit denen Heimann Lehrende in der Absicht der Fremdsteuerung adressiert. Dieser Umstand weist auf ein grundlegendes Problem in der Theorie des selbstgesteuerten Lernens hin: Schon die Überlegung, dass die Ermöglichung einer Selbststeuerung oder Selbstevaluation eine Fremdsteuerung darstellt zeigt, dass Selbst- und Fremdsteuerung, nicht kontradiktorisch, sondern konträr gegenüber gestellt werden müssen. Beides sind notwendige Momente des Bildungsprozesses, die miteinander zu vermitteln sind (Litt 1964: 81f.).

Das Problem der Vermittlung von Fremd- und Selbststeuerung zu übergehen führt zu Fehlentwicklungen wie dem Versuch, adaptive Lernsysteme zu konzipieren, die sich automatisch an den Lernbedarf anpassen. Diese Konzepte implizieren, dass das Verhältnis von Inhat, Lehrenden und Lernenden exakt abgebildet, operationalisiert und in algorithmische Verfahren umgesetzt werden kann. Es werden Merkmale der Lernenden analysiert und in Adaptationen z.B. der Instruktionssequenz, der Aufgabenschwierigkeit oder der Antwortzeitbegrenzung umgesetzt (vgl. Leutner 1997. 144f.).

Übersehen wird dabei, dass die Beratung von Lernenden Verstehen voraussetzt. Verstehen ist aber für Computertechnologie prinzipiell nicht möglich (Swertz 2001: 144f.), was z.B. in den Grenzen intelligenter tutorieller Systeme (ITS) deutlich wird (Schulmeister 1997: 190). Das Moment der Eigentätigkeit der sich Bildenden wird dabei übergangen. Bildung als die Aneignung kultureller Geltung durch Subjekte setzt immer auch die Beteiligung des Subjekts voraus, die nicht determiniert werden kann. Umgekehrt ist eine Selbststeuerung von Lernen im Sinne einer vollständigen Verantwortungsübernahme nicht möglich, weil die Aneignung von Wissen immer auch den Ausdruck des Anspruchs auf Anerkennung voraussetzt (Hönigswald 1966). Wie kann dieses Verhältnis nun gestaltet werden?

In Lernprozessen stehen zwei Interessen gegenüber: Auf der einen Seite die Lehrenden, die den Stoff kennen, didaktische Experten sind und wissen, wie der Stoff gut gelernt werden könnte; auf der anderen Seite die Lernenden, die mit individuellen Biographien, unterschiedlichem Vorwissen und persönliche Erwartungen eigene Vorstellungen davon haben, was sinnvoll ist und was sie tun wollen. Insofern die Lernenden notwendig frei darin sind, den Stoff anzunehmen oder nicht, ist Lernen immer auch selbstgesteuert. Insofern die Lernenden darauf angewiesen sind, etwas Mitgeteiltes zu lernen, sind sie immer auch fremdgesteuert. Die Frage ist also nicht, ob selbstgesteuertes Lernen notwendig ist oder stattfindet. Selbstgesteuertes Lernen kann auch nicht als Gegensatz von fremdgesteuertem Lernen verstanden werden. Die Frage ist, wie das Verhältnis von Selbst- und Fremdsteuerung in Lernprozessen gestaltet werden kann.

Für das Online-Lernen ist zunächst festzuhalten, dass es nicht sinnvoll ist, Lernende, für die eine andere Medienkultur dominant ist, mit Computertechnologie zu konfrontieren. Die Entscheidung für oder gegen Computertechnologie als Lernmedium erfordert ein Verstehen der Lernenden. An dieser Stelle ist eine tutorielle Betreuung erforderlich. Verstehen ist auch bei Widerständen im Lernprozess - ein Infragestellen der Inhalte, Methoden etc. ist ein unhintergehbares Moment von Aneignungsprozessen - erforderlich. Wenn die Lernenden die Inhalte in Frage stellen, benötigen Sie Menschen, die ihnen durch professionelles Handeln helfen, ihre autonome Lebenspraxis wiederherzustellen (Overmann 1997). Auch diese Beratung kann nur durch eine tutorielle Betreuung geleistet werden.

Damit ist der Bereich der Selbstevaluation begrenzt: Selbstevaluation als Unterstützung der Selbststeuerung von Lernprozessen durch Software kann nur in Bereichen realisiert werden, in denen kein Verstehen durch andere erforderlich ist. Selbstevaluation kann durch Computertechnologie unterstützt werden, indem die Lernenden mit aufgezeichneten Daten in Relation zu gesetzten Kriterien konfrontiert werden und so die verantwortliche Selbststeuerung des Lernprozesses angeregt wird. Damit wird zum einen dem Umstand Rechnung getragen, dass Verhalten durch Algorithmen nicht verstanden werden kann. Zum anderen forciert Computertechnologie als Medium eine zweifach reflexive Struktur (Meder 1998), die hier im Ziel des Verständnisses des eigenen Lernens durch die Lernenden zum Ausdruck kommt. Dieses Verständnis kann durch eine Interaktion mit dem Medium angeregt, aber nicht erzwungen werden. Da die Anregungen noch keine Sinnzuweisung enthalten, können sie mit algorithmierten Verfahren erzeugt werden. Allerdings sind dabei nur solche Anregungen möglich, die operationalisierbar sind. Es ist naheliegend, hier vor allem an statistisch erfassbare Aspekte des Lernprozesses zu denken. Jede andere Form der Rückmeldung kann nur in kooperativen Prozessen, d.h. in Kommunikation zwischen den Beteiligten erfolgen.

Der Vorschlag ist, die Lernenden ergänzend zu einer tutoriellen Betreuung in der Selbstevaluation ihres Lernprozesses zu unterstützen. Damit ist eine Fremdsteuerung verbunden, weil von den Lernenden erwartet wird, eben diese Verantwortung zu übernehmen, und sich dazu zu ihrem eigenen Verhalten in ein Verhältnis zu setzen. Diese Fremdsteuerung wird durch technische Verfahren vermittelt und nicht durch Kommunikationen oder die Lerninhalte. Anregungen zur Selbstevaluation zu implementieren bedeutet, das Lernziel der Entwicklung eines Verhältnisses zum eigenen Lernverhalten gleichsam als hidden curriculum in die Lernumgebung zu integrieren. Nun kann zwar ein solches Vorgehen bildungstheoretisch legitimiert werden; es ist aber zugleich notwendig, den Lernenden die Entscheidung darüber zu überlassen, ob sie eine solche Form von Verantwortung lernen wollen. Die Implementierung darf also nicht so erfolgen, dass die Lernenden die Selbstevaluationswerkzeuge nutzen müssen, sondern muss so erfolgen, dass sie sie nutzen können.

1.2 Selbstevaluation

Unter dieser Voraussetzung werden im folgenden - aus Platzgründen nur exemplarisch - Werkzeuge zur Selbstevaluation konzipiert. Evaluation läßt sich verstehen als Prozess des systematischen Sammelns und Analysierens von Daten und Informationen um an Kriterien orientierte Bewertungsurteile zu ermöglichen, die auf begründeter Evidenz beruhen. Selbstevaluation bezeichnet eine Evaluation des eigenen Handelns, d.h.: Selbstevaluation ist ein verstehender Rückblick auf das eigene Verhalten. Selbstevaluation kommt für alle am Lernprozess Beteiligten, d.h. für Lernende, Autorinnen und Autoren, Tutorinnen und Tutoren, Controllerinnen und Controller und Forscherinnen und Forscher in Frage. Hier stehen die Lernenden im Mittelpunkt, die zur bewussten Selbststeuerung des Lernprozesses angeregt werden sollen. Die Anregung zur Selbstevaluation ist eine Fremdsteuerung, die das Ziel 'Selbststeuerung' verfolgt. Die Interpretation und die Entscheidung über Konsequenzen muss den Lernenden, bei Bedarf mit Unterstützung durch eine tutorielle Betreuung, überlassen werden. Das gilt auch für den Zeitpunkt der Selbstevaluation, die durch die Lernenden während des Lernprozesses (formativ) oder im Anschluss an den Lernprozess (summativ) vorgenommen werden kann.

Für eine Selbstevaluation als verstehender Rückblick muss das zeitlich zurückliegende eigene Verhalten zugänglich gemacht werden. Dazu muss das Verhalten in der Präsenzzeit fixiert werden. In Online-Lernumgebungen ist das kein technisches Problem, wohl aber eines im Blick auf den Persönlichkeitsschutz. Die Aufzeichnungsdaten können leicht zur Sicherung institutioneller Macht verwendet werden. Das würde das Ziel der Selbststeuerung konterkarieren. Die Daten müssen daher so aufgezeichnet werden, dass ein Zugriff auf die individuellen Daten durch Dritte grundsätzlich verhindert wird.

Dimensionen, die im Prozess der Selbstevaluation berücksichtigt werden können (und diese Auswahl ist ebenfalls eine Fremdsteuerung), sind in Anlehnung an die didaktischen Entscheidungsfelder die Auswahl der Inhalte und Methoden, die Regulation von Lernhandlungen und die Bewertung von Leistungen. Die Auswahl der Inhalte selbst wird durch eine geeignete Organisation des Wissens unterstützt, wie sie das didaktische Metadatenssystem (DML) nach Meder bietet. Gegenstand der Selbstevaluation ist die Bewertung der Inhaltswahl in Bezug auf die Lernziele, die Regulation von Lernhandlungen in Bezug auf die Lerngeschwindigkeit, die Lernzeit und die Lernstrategie und die Bewertung von Leistungen.

Um die Kriterien in Bezug auf Inhalte, Lernregulation und Leistungen setzen zu können, müssen den Lernenden entsprechende Unterstützungen (Formulare etc.) angeboten werden. Dabei ist zwischen informellen und formellen Lernprozessen zu unterscheiden. Im informellen Lernen werden die Kriterien selbst gesetzt, in formellen Lernprozessen werden die Kriterien vorgegeben, wobei zwischen eine ausschließlichen externen Vorgabe und einer ausschließlichen eigenen Vorgabe viele Zwischenschritte möglich sind. Um Lernende in der Beurteilung der Angemessenheit der selbst gesetzten Kriterien zu unterstützen ist die Ermöglichung der Wahrnehmung anderer Lernender erforderlich.

1.3 Gruppen

Die Wahrnehmung der Lernhandlungen anderer Lernender ist für die Selbstevaluation relevant, weil dadurch eine soziale Vergewisserung über die Angemessenheit des eigenen Lernverhaltens möglich wird. Dabei geht es nicht um die kommunikative Vergewisserung über Inhalte, sondern darum, das eigene Lernverhalten in Relation zur Lerngruppe wahrzunehmen. Eine Wahrnehmung des Lernprozesses anderer besteht in traditionellen Lernarrangements kaum, weil der Lernprozess meist nicht aufgezeichnet wird und selten in öffentlichen Räumen stattfindet. In Online-Umgebungen kann das Lernverhalten aufgezeichnet werden. Dies ermöglicht eine objektive Wahrnehmung des Lernverhaltens anderer Lernender. Damit wird in Online-Lernumgebungen eine neue Form der Wahrnehmung der Lerngruppe möglich. Selbst gesetzte Kriterien und das eigene Handeln kann an der Lerngruppe evaluiert werden. Daten und Informationen müssen dafür so aufbereitet werden, dass die Lernenden dazu in die Lage versetzt werden, anhand des Vergleichs mit der Lerngruppe Bewertungsurteile zu treffen.

Neben den Lernenden sind auch die Lehrenden als eine Gruppe zu verstehen. Die Wahrnehmung der Unterrichtsvorbereitung anderer (Inhaltsproduktion und Zusammenstellung von Kursen), kooperative Lektoratsverfahren und die Aufzeichnung des Kommunikationsverhaltens z.B. in der tutoriellen Betreuung ermöglichen in Online-Lernarrangements eine neuartige Selbstevaluation und Supervision der Lehrtätigkeit.

Die Darstellung des Verhaltens anderer Lernender kann auf der Grundlage der aufgezeichnete Daten mit verschiedenen Detaillierungsgraden erfolgen. Dabei ist in jedem Fall der Persönlichkeitsschutz zu beachten, d.h. die Daten anderer müssen anonymisiert dargestellt werden. In vielen Fällen ist ohnehin keine Darstellung von Einzeldaten, sondern eine Darstellung von statistischen Kennwerten sinnvoll. Da die Lernenden diese Daten selbst interpretieren sollten nur allgemeinverständliche Kennwerte verwendet werden. Hinweise zur Bewertung können die Interpretation unterstützen. Die Bereitstellung von Auswertungswerkzeugen zur Selbstevaluation soll die bewusste Selbststeuerung anregen.

2. Aufzeichnung der Daten

Die Aufzeichnung des Lernverhaltens dient dazu, das zeitlich zurückliegende Verhalten in der Präsenzzeit zu vergegenwärtigen. Die Lernenden müssen über die Aufzeichnung mit Begründung informiert werden, die Möglichkeit haben, die Aufzeichnung jederzeit abzuschalten, die aufgezeichneten Daten einsehen können und feststellen können, wer die aufgezeichneten Daten eingesehen hat. Das ist nicht nur datenschutzrechtlich, sondern auch pädagogisch geboten, wenn verantwortliche Selbstorganisation nicht unterlaufen werden soll.

In Online-Lernumgebungen hängen die Möglichkeiten der Aufzeichnung von der Softwarearchitektur ab. Bei der derzeit üblichen Verwendung von Internettechnologien (tcp/ip, http) können Daten auf dem Client oder dem Server aufgezeichnet werden. Der höhere Detaillierungsgrad, der durch eine clientseitige Aufzeichnung erreicht werden kann, ist jedoch nur für wissenschaftliche Fragestellungen relevant. Die serverseitige Aufzeichnung liefert für die Selbstevaluation eine hinreichende Auflösung.

Um die vorgeschlagenen Selbstevaluationen zu ermöglichen sind folgende Daten aufzuzeichnen:

Bei der Aufzeichnung sind zu unterscheiden:

Logfiles erster Ordnung werden während des Lernprozesses automatisch aufgezeichnet. Logfiles zweiter Ordnung werden mit interaktiven Seiten (z.B. Formularen) erhoben, mit denen Lernende ihre Beurteilungen aufzeichnen können. Hier können auch Antworten auf Online-Befragungen mit offenen und geschlossenen Fragen zur formativen oder summativen Evaluation durch den Veranstalter aufgezeichnet werden; die Ergebnisse solcher Evaluationen sollten den Lernenden zugänglich gemacht werden, wodurch wiederum die eigene Einschätzung mit der anderer Teilnehmerinnen und Teilnehmer verglichen werden kann. Logfiles dritter Ordnung können ebenfalls automatisch aufgezeichnet werden.

3. Werkzeuge zur Selbstevaluation

Werkzeuge zur Selbstevaluation müssen rollenspezifisch konzipiert werden. Als Dimensionen der Selbstevaluation von Lernenden sind die Lernziele, die Inhalte, der Lernweg, die Lernregulierung und die Überprüfung des Lernerfolgs anzusetzen. Die Auswertungen sind individuell und im Vergleich zur Gruppe durchzuführen.

Anhand statistischer Daten können die Lernenden einen Beurteilungsvorschlag erhalten. Eine Möglichkeit ist die Rückmeldung in drei Stufen: (-) für einen unterdurchschnittlichen Wert, (+) für einen durchschnittlichen Wert und (++) für einen überdurchschnittlichen Wert. Alternativ kann die Rückmeldung auch im Klartext mit Handlungsvorschlägen oder durch die Angabe von Rangplätzen, die Verhaltensänderungen diffferenzierter wiedergeben, erfolgen.

3.1 Lernende

Die Schnittstelle für Lernende muss die Anzeige der aufgezeichneten Daten auch in Rohform, die Kontrolle der Zugangsrechte zu diesen Daten durch die Lernenden und die Anzeige der erfolgten Zugriffe durch Dritte ermöglichen. Die institutionellen Rahmenbedingungen könnten es erforderlich machen, den Zugriff durch Dritte ganz zu unterbinden, um zu verhindern, dass verantwortliche Selbstevaluation durch machtförmiges Handeln faktisch verhindert wird.

3.1.1 Lernziele

Um die Lernziele evaluieren zu können, muss zunächst das Lernziel festgelegt werden. In formellen Arrangements erfolgt diese Festlegung durch die Verantwortlichen, in informellen Strukuren durch die Lernenden. Die Evaluation (bzw. Kenntniss) des Lernziels kann die Lernenden bei der Steuerung des eigenen Lernprozesses unterstützen.

Das Lernziel läßt sich nicht quantitativ evaluieren. Eine Selbstevaluation kann angeregt werden, indem nach der Formulierung des eigenen Lernziels in einer Datenbank von anderen formulierte ähnliche Lernziele gesucht und den Lernenden als Orientierung bei der Beurteilung der eigenen Lernzielformulierung angeboten werden. Damit werden die Lernenden in die Lage versetzt, ihre Lernziele einzuschätzen, zugleich wird die Wahrnehmung anderer Lernender unterstützt.

3.1.2 Inhalte

Anhand formulierter Lernziele kann in DML basierten System ein teilautomatisiertes Retrieval, das inhaltliche und didaktische Abhängigkeiten berücksichtigt, geeignete Inhalte in der jeweiligen Wissensbasis nachweisen. Den resultierenden Vorschlag müssen die Lernenden ihrem Bedarf anpassen. Die dafür erforderliche inhaltliche Evaluation kann nicht automatisiert werden. Die Lernenden müssen die Suchergebnisse selbst prüfen und in Beziehung zu den Lernzielen setzen. Ein Übergang von der Lernerkontrolle zur Systemkontrolle trägt nicht, weil die Lernenden auch im Fall der Systemkontrolle alleine zurechtkommen müssen. An dieser Stelle ist regelmäßig eine tutorielle Beratung empfehlenswert. Die tutorielle Beratung kann auch von den Lernenden aus in Anspruch genommen werden - eine selbstgesteuerte Aufforderung zur Fremdsteuerung.

Eine quantitative Auswertung als Anregung der Selbstevaluation ist in Bezug auf den Umfang des Lernmaterials möglich. Dazu müssen die Lernenden vor der Auswahl der Lerninhalte die geplanten Lernzeiten (Gesamtlernzeit und wöchentliche Lernzeit) festlegen. Als Vergleich können in Metadaten angegebene Lernzeiten sowie das arithmetische Mittel der von Lernenden bisher benötigte Lernzeiten für die ausgewählten Inhalte verwendet werden. Die summierten Zeiten werden dann mit den geplanten Lernzeiten verglichen und so der Umfang der gewählten Inhalte evaluiert. Ob bei Abweichungen die Lernzeit erhöht, der Umfang reduziert oder die Differenz akzeptiert wird ist den Lernenden zu überlassen.

3.1.3 Lernweg

Die Selbstevaluation des Lernwegs bezieht sich auf die verwendete Navigationsstrategie. Es geht darum, den Weg durch den Raum der Inhalte zu evaluieren.

Die didaktische Methode können Lernende in DML-basierten Umgebungen individuell bestimmen. Zusätzlich zur Navigation anhand der gewählten didaktischen Methode können Lernende in DML-basierten Umgebungen Retrievalwerkzeuge zur Navigation verwenden. Für die Selbstevaluation ist damit zunächst der Vergleich von geplantem Lernweg nach dem gewählten didaktischen Modell und tatsächlichem Lernweg relevant. Es kann statistisch ausgewertet werden, ob Lernende dem didaktischen Pfad folgen oder die freie Navigation verwenden. Dabei kann auch berechnet werden, in wie vielen Fällen zwar die Werkzeuge zur freien Navigation verwendet wurden, die gemachten Schritte aber dem gewählten didaktischen Modell oder einem anderen Modell entsprechen. Dadurch können die Lernenden Hinweise auf für Sie möglicherweise angemessenere didaktische Modelle erhalten.

Für die Selbstevaluation des Lernverhaltens können die bevorzugten Wissensarten und Medientypen hilfreich sein. Im Vergleich mit anderen können Lernende ihre Eigenheiten erkennen und so zu einer bewussteren Steuerung des Lernprozesses angeregt werden. Die Angaben für die genutzten Wissensarten sollten dabei nur nach rezeptiven, interaktiven und kooperativen Wissenseinheiten differenziert werden, da die Interpretation einer genaueren Differenzierung detailliertere Kenntnisse des Konzepts erfordert.


Ihr Lernverlauf

Andere

Schritte auf vorgeschlagenem Lernpfad

30,00%

55,00%

Selbst bestimmte Schritte

70,00%

45,00%

Verwendeter Lernpfad

Zielorientiert/Aufgabenorientiert

75% Zielorientiert/Aufgabenorientiert
25% Induktiv/Problemorientiert

Möglicher alternativer Lernpfad

Netzwerkmodell/Beispielorientiert

--

Aufgerufene Wissensarten

Lesen/Betrachten 60%
Aufgaben/Simulationen 20%
Kommunikationsseiten 20%

Lesen/Betrachten 80%
Aufgaben/Simulationen 10%
Kommunikationsseiten 10%

Medien

Text
Grafik
Sound


3.1.4 Lernregulierung

Für die Lernregulierung ist die Evaluation an den selbst gesetzten Kriterien und der Vergleich zu Lerngruppe relevant. Dadurch können die Lernenden Hinweise darauf erhalten, ob sie mit ihrem bisherigen Arbeitsverhalten das geplanten Pensum erreichen. Mit der Auswahl der Inhalte und der Planung der Lernzeit haben die Lernenden Kriterien für die Selbstevaluation festgelegt. Die quantitative Auswertung muss einen Vergleich der Planung mit dem bisherigen Lernverlauf ermöglichen. Das ist in Bezug auf die bisher bearbeiteten Seiten, die dazu benötigte Zeit, die aufgewandte Lernzeit pro Woche und die aufgewandte Gesamtlernzeit möglich. Ein Vergleich mit vorherigen Wochen ermöglicht es, Verhaltensänderungen wahrzunehmen.

Mit dem Bearbeitungsstand wird die Gesamtzahl der bisher besuchten Seiten zur geplanten Seitenzahl in Beziehung gesetzt und dadurch der Abstand vom Lernziel bzw. der Umfang des noch zu lernenden Materials angegeben. Die Einschätzung im Vergleich zur Gruppe sollte hier nicht auf die Verteilung in der Gruppe hin bewertet werden, weil eine solche Bewertung z.B. dazu führen würde, dass bei annähernd gleichem Lerntempo die langsameren Lernerenden eine negative Rückmeldung erhalten, auch wenn ihr Bearbeitungsstand nicht deutlich vom Mittel der Gruppe abweicht; es ist also der absolute Wert als Maßstab heranzuziehen. Der Wert ist nicht zur Gesamtzahl, sondern zum Bearbeitungsstand in Beziehung zu setzen, weil es hier nicht um die Geschwindigkeit geht. Wenn der eigene Bearbeitungsstand z.B. 20% unter dem der Gruppe liegt, sollte eine negative Bewertung erfolgen, bei 20% über der Gruppe eine positive. Die Einschätzung der Bearbeitungszeit pro Seite kann ebenfalls an der prozentualen Abweichung erfolgen. Die Seitenzahl pro Woche ist zunächst am selbst gesetzen Maßstab einzuschätzen; diese Einschätzung kann an der Einschätzung der Gruppe so relativiert werden, dass z.B. bei einer eigenen Unterschreitung um 25% bei gleichzeitiger Unterschreitung durch die Gruppe um ebenfalls 25% wiederum eine positive Einschätzung abgegeben wird. Möglicherweise ist es sinnvoll, Lernende und einen evtl. vorhandenen Tutor bei starken Abweichungen automatisch zu informieren.


Ihr Lernverlauf

Andere

Einschätzung

Bearbeitungsstand

125/250 Seiten (50%)

120/250 Seiten (48%)

+

Gesamtzeit

4h25m

3h15min

+

Bearbeitungszeit pro Seite

5min 15 s

4 min. 10 s.

+

Seitenzahl diese Woche

Geplant: 20 Seiten; bearbeitet 10 Seiten

Geplant: 20 Seiten
bearbeitet: 12 Seiten

+

Durchschnittliche Seitenzahl pro Woche

Geplant pro Woche: 20
bisher pro Woche: 21 Seiten

Geplant pro Woche: 20
Bisher pro Woche: 19

+

Lernzeit diese Woche

6 Stunden von 7 geplanten

6 Stunden von 7 geplanten

+

Lernzeiten vorherige Wochen

6:25 Stunden von 7 geplanten

7:15 Stunden von 7 geplanten


Lernzeit Gesamtkurs

18 Stunden von 26 geplanten

16:25 Stunden von 26 geplanten

+

3.1.5 Überprüfung des Lernerfolgs

Die Überprüfung des Lernerfolgs ist durch interaktive Lernaufgaben, die durch Computertechnologie ausgewertet werden können, möglich. Für den Vergleich zur Gruppe kann zum einen auf die Ergebnisse der Lerngruppe, zum anderen auf die Ergebnisse aller Lernenden, denen eine bestimmte Aufgabe bisher gestellt worden ist, zurückgegriffen werden.

Ihr Ergebnis

15

Durchschnitt ihrer Lerngruppe

12

Alle Lernenden

11

Bewertung im Vergleich zur Lerngruppe

+

Lernziel erreicht

+

Die Bewertung im Vergleich zur Lerngruppe ist anhand der Streuung vorzunehmen. Das Ergebnis wird z.B. als Überdurchschnittlich ausgewiesen, wenn die Punktzahl des Lernenden über dem dem 75% - Percentil liegt und als Unterdurchschnittlich, wenn die Punktzahl des Lernenden unter dem 25% - Percentil liegt. Die Bewertung im Vergleich zum Lernziel erfolgt durch den Vergleich mit einer vorher selbst festgelegten Mindestpunktzahl. Damit eine sinnvolle Berechnung erfolgen kann, muss eine Mindestanzahl an Ergebnissen vorliegen. Analog zur Auswertung einzelner Aufgaben ist bei der Auswertung von Tests vorzugehen.

3.2 Andere Rollen

Die Selbstevaluation für anderen Rollen kann hier nur kurz angerissen werden. Für Autorinnen und Autoren sind die Rückmeldungen im kooperativen Lektoratsverfahren bei der Inhaltsproduktion, die Anzahl der produzierten Seiten (auch im Vergleich mit anderen), der Vergleich der Zusammenstellung von Kursen mit den Kursen anderer (mit Darstellung der Differenzen), das kooperative Lektoratsverfahren, die Analyse des eigenen Kommunikationsverhaltens, die Nutzungsdaten über Seiten und Kurse (Anzahl Zugriffe differenziert nach Wissensarten, Navigationsverhalten; auch im Vergleich zu anderen), die Akzeptanz und Nutzung der Kooperationsmodule und die Rückmeldung von Lernerinnen und Lerner (News, Befragungen etc.) relevant.

Tutorinnen und Tutoren können die eigene Tätigkeit im Vergleich zu anderen in Bezug auf die Häufigkeit des Kontakts mit Lerneneden; die Häufigkeit von Supervisionen und die Art des Kontakts mit Lernern evaluieren.

4. Forschungsbedarf

Das Konzept der Selbstevaluation wurde bisher nicht auf den Bereich des Online-Lernens angewandt. Aus der Anwendung ergeben sich verschiedenste empirische Fragestellungen, die hier nur exemplarisch vorgestellt werden können:

Das vorgestellte Konzept der Selbstevaluation im Online-Lernen ermöglicht eine konkrete Unterstützung der Selbststeuerung des Lernverhaltens. Weitere Forschungen werden eine Verbesserung und Differenzierung der Verfahren ermöglichen.

5. Literatur

Brinkmann, Dieter: Moderne Lernformen und Lerntechniken in der Erwachsenenbildung. Bielefeld 2000.

Dohmen, Günter: Mehr "Brücken zum Selbstlernen" statt Krücken fürs Geführtwerden. Abschlußbericht des Kongresses "Selbstgesteuertes Lernen" der Konzertierten Aktion Weiterbildung. Königswinter 1998.

Heimann, Paul: Didaktik als Theorie und Lehre. In: ders.: Didaktik als Unterrichtswissenschaft. Stuttgart 1976, S. 142-167.

Höngiswald, Richard: Studien zur Theorie pädagogischer Grundbegriffe. Darmstadt 1966.

Leutner, Detlev: Adaptivität und Adaptierbarkeit multimedialer Lehr- und Informationssysteme. In: Issing, L.J.; Klimsa, P.: Information und Lernen mit Multimedia. 2. Aufl., Weinheim 1997, S. 139-150.

Litt, Theodor: Führen oder Wachsenlassen. Stuttgart 1964.

Meder, Norbert: Neue Technologien und Erziehung/Bildung. In: Borrelli, M.; Ruhloff, J.: Deutsche Gegenwartspädagogik Bd. III. Hohengehren 1998.

Oevermann, Ulrich: Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In: Combe, A.; Helsper, W.: Pädagogische Professionalität. Frankfurt am Main 1997, S.70-182.

Schulmeister, Rolf: Grundlagen hypermedialer Lernsysteme. 2. Aufl., Oldenbourg: München, Wien 1997.

Swertz, Christian: Computer und Bildung. Bielefeld 2001.