Christian Swertz

Überlegungen zur theoretischen Grundlage der Medienpädagogik.

1. Einleitung

Der Anlass für die folgenden Überlegungen zur theoretischen Grundlage der Medienpädagogik ist ein einfaches Phänomen: Es ist möglich, mit einem Medium im Gebrauch des Mediums eine Verständigung über das Medium zu erreichen. Über das Sprechen kann gesprochen werden und über das Schreiben kann geschrieben werden. Wenn medienpädagogische Theorien Medien berücksichtigen und zugleich Medien verwendet werden, um die Theorie mitzuteilen, dann fällt die Theorie in ihren Gegenstandsbereich und ist von ihrem Gegenstand betroffen. Eine von Medien grundsätzlich unabhängige Theorie ist dabei nicht möglich, da eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit einer Theorie ist, dass die Theorie mitgeteilt, also ausgesprochen, aufgeschrieben oder gesendet werden kann. Damit stellt sich die Frage: Wie kann medienpädagogische Theorie, die das genannte Phänomen berücksichtigt, gedacht werden?

Die Frage nach einer Verständigung über Medien, in der Medien zugleich als notwendige Bedingung von Verständigung mitgedacht sind, zielt auf die Aufklärung der Bedingung der Möglichkeit von medienpädagogischer Erkenntnis angesichts der in der Frage implizierte medialen Relativität von Wissen. Dazu wird hier (1) mittels einer Interpretation der von Hönigswald (1927) vorgeschlagenen (Denk-)Methode als relationale Dialektik und (2) der Bedeutung dieser Methode für die medienpädagogischen Grundbegriffe Verständigung und Medien diskutiert. Die Methode der relationalen Dialektik wird hier in den Mittelpunkt gestellt, da die Methode in einer Theorie bestimmt, wie über einen Gegenstand gedacht werden kann.

Medienpädagogische Theorie muss wie jede Theorie in einem Medium mitgeteilt werden. Da es mehrere Medien gibt, die zu diesem Zweck verwendet werden können, ist diese mediale Pluralität in der Theorie zu berücksichtigen. Zugleich muss die in der Theorie verwendete Methode der medialen Pluralität angemessen sein. Um Pluralität zu berücksichtigen gibt es zunächst zwei Möglichkeiten: Pluralität kann erstens in der Theorie, d.h. als intratheoretische Pluralität, berücksichtigt werden. Damit können widerstreitende Konzepte einbezogen werden. Wegen der eingeschlossenen Widersprüche kann die Theorie dann aber nicht konsistent sein. Konsistenz kann zweitens durch den Ausschluss widerstreitender Konzepte erreicht, d.h. als intertheoretische Pluralität berücksichtigt werden. Wenn widerstreitende Konzepte aus der Theorie ausgeschlossen und nicht mit gedacht werden, wird Pluralität jedoch übergangen.

Das Dilemma kann nach Wittgenstein (1993, S. 241ff.) auf einem dritten Weg aufgelöst werden, wenn die Theorie in einem Netzwerk gedacht wird. Ein Netzwerk ist ein System ohne absolutes Zentrum, das aus voneinander verschiedenen und zugleich miteinander verbundenen Elementen besteht. Diese Begrenzung der eigenen Position vermeidet in skeptischer Absicht Dogmatismen, ohne auf einen Standpunkt verzichten zu müssen.

Da die intendierte Argumentation auch über Schrift geführt und als Schrift vorgelegt wird, ist methodisch die Selbstreflexivität der beabsichtigten Handlung ebenso zu berücksichtigen wie die Pluralität der bestehenden Medien. Damit erfordert medienpädagogische Theorie eine plural-selbstreflexive Theoriearchitektur.

2. Der Hönigswaldsche Theorieentwurf als evolutionäre Systemtheorie

Eine plural-topologisch-selbstreflexive Theriearchitektur hat Hönigswald (1927) mit seiner Schrift über die Grundlagen der Pädagogik vorgelegt. Er bestimmt den Sinn pädagogischen Verhaltens „als Sachverhalt der Überlieferung eines bestimmten Wissens- bzw. Geltungsbestandes von einer Generation an die nachfolgenden durch die Vermittlung der zeitlich nächsten“ (Hönigswald 1927, S. 31). Dieser Ansatz wird von Hönigswald explizit kontingent gesetzt. Ein Ansatz kann nur kontingent gesetzt werden, da nicht über einen Ansatz entschieden werden kann, bevor der Ansatz gemacht ist. Der Ansatz muss sich anschließend in der Durchführung der Analyse, also in der Forschungspraxis, bewähren. Dafür muss gezeigt werden, dass der Ansatz dem Begriff der gestellten Aufgabe entspricht (Hönigswald 1928, S. 28ff.). Diese Entsprechung kann erst festgestellt werden, nachdem der Ansatz gemacht ist. Mit dieser Architektur ist prinzipielle Offenheit und das mögliche Scheitern von Ansätzen (einschließlich des eigenen Ansatzes) im Theoriegebäude verortet und andere Ansätze, d.h. intertheoretische Pluralität, systematisch berücksichtigt.

Hönigswald berücksichtigt Pluralität in der Offenheit von Ansätzen und im Begriff der Relativität. Seine Theorie versteht er relativ zur geschichtlichen Entwicklung (Hönigswald 1927, S. 28) und relativ zu kulturellen Wahrheitssystemen (Hönigswald 1927, S. 33). Wahrheit ist relativ zur geschichtlichen Entwicklung, weil Wahrheit überliefert werden muss. Diese Überlieferung schließt die Möglichkeit der Modifikation ein. Einer Modifikation in der Geschichte unterliegt auch der Begriff der Wahrheit selbst, d.h.: Der Sinn von Wahrheit wird in der Überlieferung verändert. Diese Veränderung ist Gegenstand hermeneutischer Forschung.

Relativität wird dabei als Ansatz gesetzt und in der Durchführung methodisch begründet. Die zwischen Ansatz und Durchführung bestehende zeitliche Differenz ermöglicht eine selbstreflexive Theorie und wird zugleich in der Forschungspraxis, in der diese Theorie formuliert wird, angewandt. Damit ist die Theoriearchitektur selbstreflexiv.

Ihre Geltungsansprüche behauptet die Theorie im Kontext, d.h. in der Topologie von Wahrheitssystemen. Hönigswald versteht seine Theorie in diesem Sinne als eine Theorie im System der Wissenschaften, das wieder mit anderen kulturellen Wahrheitssystemen in Beziehung steht. So kann etwa das religiöse Wahrheitssystem aus des Sicht des wissenschaftlichen Wahrheitssystems analysiert werden. Diese Analyse ist jedoch weder Religion noch wird damit eine religiöse Wahrheit ausgesprochen. Vielmehr wird in der Wissenschaft über religiöse Wahrheit wissenschaftlich gesprochen. Diese Begrenzung wissenschaftlicher Wahrheit kennzeichnet Hönigswalds Theorie als nicht-universalistische Systemtheorie. Diese Architektur ist gegenüber universalistischen Systemtheorien (z.B. Luhmann 1984) im Vorteil, weil der Widerspruch, die Universalität der Theorie und die Relativität von Systemen, die auch für die Theorie selbst gelten muss, gleichzeitig zu behaupten, vermieden wird.

Trotz dieses konsequent relativistischen Vorgehens wird die Theorie nicht beliebig, sondern bleibt konsistent. Konsistenz erreicht Hönigswald durch eine spezifische Methode. Diese Methode besteht darin, Einheit und Differenz gleichzeitig zu denken. Prinzipien und Tatsachen (Meder 1975), Denken und Gegestände oder Subjekte und Kultur sind gleichzeitig eigenständig und miteinander verbunden gedacht. Sie stehen in einem „Wechselverhältnis zwischen Vollzug und Geltung“ (Hönigswald 1927: S. 57). Das Wechselverhältnis, d.h. die Relation zwischen Vollzug und Geltung kennzeichnet eine Dialektik, die Hönigswald als Bedingung der Möglichkeit von Geltung ausweist. Da diese Dialektik durch die spezifische Relation der Gleichzeitigkeit von Einheit und Differenz zwischen ihren Gliedern gekennzeichnet ist, ist es eine relationale Dialektik.

Die relationale Dialektik zielt darauf ab, die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Begriffe zu analysieren, d.h. eine transzendentale Analyse durchzuführen. Die Pointe ist, dass diese relationale Dialektik in den Gegenstandsbereich der Theorie gedacht wird, wodurch die Angemessenheit der Methode in der Theorie analysiert werden kann, die Konsistenz des Systems also sichergestellt wird.

Die Konsequenzen dieser Denkmethode zeigt ein mediendidaktisches Beispiel: In Konzepten für das Online-Lernen, die auf die konstruktivistische Didaktik und den Konstruktivismus als erkenntnistheoretische Grundlage zurückgreifen, wird gelegentlich fremdgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen gegenübergestellt und fremdgesteuertes Lernen als überholte Form abgelehnt. Dabei wird übersehen, dass einerseits die Fremdsteuerung in Lernprozessen überhaupt nicht vermieden werden kann, da die Anerkennung von Geltung als notwendige Bedigung für Lernen verlangt werden muss. Andererseits kann die Anerkennung von Geltung nicht erzwungen werden. Die Differenz zwischen Lehrenden und Lernenden macht es den Lernenden jederzeit möglich, die Anerkennung zu verweigern. Selbst- und Fremdgesteuertes Lernen sind notwendig voneinander getrennt und aufeinander verwiesen. Damit sind Selbst- und Fremdsteuerung keine kontradiktorischen Gegensätze, sondern in der Gleichzeitigkeit von Einheit und Differenz, also relational-dialektisch aufeinander bezogen (vgl. dazu auch Litt (1952), auf den sich Hönigswald bezieht). Es gilt daher nicht Fremdsteuerung zu vermeiden, sondern Fremdsteuerung und Selbststeuerung zu gestalten, d.h. den Geltungsanspruch vernünftig auszudrücken.

Für eine relativistisch konzipierte Theorie stellt sich die Frage, wie zwischen widersprüchlichen Theorien entschieden werden kann, da die Überlegenheit der eigenen Theorie nicht einfach vorausgesetzt werden kann. Diese Entscheidung kann nicht theoretisch getroffen werden, da eine theoretische Entscheidung einen absoluten Standpunkt der entscheidenden Theorie voraussetzen würde. Theorien müssen aber beanspruchen, dass sie anerkannt werden, damit sie überliefert werden können (Hönigswald 1927: 61ff.). Dabei, also im Prozess der Überlieferung, wird über die Anerkennung oder Ablehnung der Theorie entschieden. Das impliziert keine Entscheidung über den Wahrheitsgehalt der Theorie, der methodisch festzustellen ist (Hönigswald 1927, S. 53). Die Entscheidung über eine Theorie in einem von der Theorie differenzierten System, das zugleich in Relation zur Theorie steht und damit in der Theorie verstanden werden kann, markiert die Relation, über die nicht wissenschaftliche Geltungskriterien wie Macht und Geld in Theorien wirksam werden. Zugleich impliziert diese Relation die Möglichkeit der wissenschaftlichen Kritik an nicht wissenschaftlichen Geltungsansprüchen. Damit ermöglicht die relationale Dialektik, anders als die negative Dialektik (Horkheimer/Adorno 1969), einen begrenzt positiven Standpunkt. Die Begrenzung erfährt der Standpunkt auch durch die systematische Berücksichtigung der Pluralität kultureller Verständigungsprozesse.

Es wurde deutlich, dass die relationale Dialektik eine topologische, plurale und selbstreflexive Theoriearchitektur konstituiert. Diese Architektur entspricht den Forderungen, mit denen Vogel (1998) die theorietechnischen Möglichkeiten einer Allgemeinen Pädagogik abgesteckt hat. Ein absoluter Standpunkt oder eine Überlegenheit des wissenschaftlichen Wahrheitssystems (wie bei Habermas 1983) ist dabei systematisch ausgeschlossen.

Die von Benner/Schmied-Kowarzik (1963) geäußerte Kritik: die Hönigswaldsche Theoriarchitektur würde wegen ihrer hermetischen Geschlossenheit in Dogmatismus umschlagen, ist angesichts des systematischen Ausschlusses eines absoluten Standpunkts nicht überzeugend. Schon die Offenheit im Ansatz verortet zwar Offenheit in der Theorie, verhindert aber zugleich einen dogmatischen Umschlag, indem die Wahrheit der Theorie zwar behauptet wird, aber angesichts der Offenheit des Ansatzes weder als einzig mögliche Wahrheit noch als einzige zu überliefernde Wahrheit ausgewiesen werden könnte. Der Verständigungsanspruch der Theorie wird als ein Verständigungsanspruch neben anderen verstanden.

Angesichts der Pluralität von Verständigungsansprüchen kann auch nicht nicht ein als Verständigungsanspruch ausgedrücktes Bildungsziel als das einzig wahre ausgewiesen werden. Vielmehr ist immer schon mit der Pluralität von Bildungszielen zu rechnen. Damit wird nun nicht jedes Bildungsziel unmöglich, sondern Pluralität als ein Bildungsziel ausgewiesen, ohne Pluralität dogmatisch setzen zu müssen. Dieses Ziel kann die Fachdidaktik Medien, die derzeit mit dem Medienkompetenzbegriff diskutiert wird, orientieren.

Die relationale Dialektik als Methode konstituiert mit der Gleichzeitigkeit von Einheit und Differenz eine dialektisch-plural-selbstreflexiven Theoriearchitektur. Ein medienpädagogisch relevanter Aspekt dieser Theorie ist der Verständigungsbegriff.

3. Verständigung

Verständigung ist nach Hönigswald immer Verständigung über etwas (Hönigswald 1927, S. 26f.). Das kann jede Form von Kenntnissen, Fertigkeiten, Gefühlen, Einstellungen usw. sein, also Wissen im weitesten Sinne. Wissen existiert nicht an sich, sondern im Kontext einer Kultur, und es bekommt erst durch den Kontext einen Sinn. Der Sinn von Wissen entsteht in der Verständigung zwischen Menschen, d.h.: Wissen muss überliefert werden. Hönigswald bestimmt Wissen in diesem Sinn „im Hinblick auf seine Funktion, um seiner selbst willen überliefert zu werden“ (Hönigswald 1927, S. 31). Damit ist eine Verständigung über Wissen eine Bedingung der Möglichkeit der Überlieferung von Wissen.

Der Verständigungsprozess läuft in drei Schritten ab. Im ersten Schritt wird das Wissen von einem Subjekt geäußert. Die Äußerung muss zwei Bedingungen erfüllen: Sie erfolgt mit dem Anspruch der Verständigung, und sie wird in einem sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand ausgedrückt, z.B. ausgesprochen oder in einem Manuskript notiert. Der sinnlich wahrnehmbare Gegenstand wird dadurch Träger des Verständigungsanspruchs, d.h.: der Verständigungsanspruch wird vom Subjekt auf den Gegenstand übertragen.

Im zweiten Schritt liegt der Verständigungsanspruch im Gegenstand unabhängig von dem Subjekt vor, das den Anspruch geäußert hat. Ein Manuskript enthält den Verständigungsanspruch auch dann, wenn die Autorin oder der Autor abwesend ist.

Im dritten Schritt erfolgt die Zustimmung oder Ablehnung des Verständigungsanspruchs durch ein Subjekt. Die Zustimmung muss nicht erfolgen: Das Manuskript kann auch geschrieben und dann nie gelesen werden. Damit jedoch eine Verständigung zustande kommt, muss das Wissen rezipiert werden, wobei mit Rezipieren keinesfalls Kopieren gemeint ist. Das Subjekt, das das Wissen rezipiert, ist frei in der Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung zu dem Wissen. Auf jede Entscheidung zu verzichten ist aber nicht möglich, weil ein Subjekt ohne Teilnahme an der Tradierung kultureller Gehalte nicht zum Subjekt werden kann. Wissen ist dabei auf eine Kultur, d.h. auf ein Wahrheitssystem bezogen (Hönigswald 1927, S. 148, vgl. dazu auch: Schulz 1997). Im Verständigungsprozess wird Wissen also von einem Menschen durch den Gegenstand für einen Menschen erschlossen .

Mediendidaktisch ist es also erforderlich, dass die Lehrenden, die eine Verständigung beabsichtigen, Geltungsansprüche durch einen Gegenstand und über einen Gegenstand aufzustellen. Die Lehrenden müssen diese Geltungsansprüche für die Lernenden erschliessen, also lernerorientiert lehren. Umgekehrt müssen die Lernenden das Wissen rezipieren, also lehrerorientiert lernen.

Dieser relational - dialektischen Relation von Lehren und Lernen durch Gegenstände über Gegenstände steht komplementär die Relation von Unterrichtsinhalt und Unterrichtsmethode gegenüber. Es wurde deutlich, dass mit der relationalen Dialektik die Bedeutung von Wissen von der Relation zwischen Inhalt und Methode abhängt. Genau so ist die Bedeutung eines Unterrichtsinhalts mit der Unterrichtsmethode relationiert (Hönigswald 1927, S. 205). Das heißt: Unterrichtsmethoden modifizieren die Bedeutung von Gegenständen als Unterrichtsinhalten.

Ein Unterrichtsinhalt kann nun mit verschiedenen Unterrrichtsmethoden unterrichtet werden. Daher müssen Lerninhalt und Lernmethode gleichzeitig gelehrt und gelernt werden. Insofern das Lernen der Lernmethode ein dem Lernen immanentes Lernen über das Lernen ist, kann es als Metalernen bezeichnet werden. Metalernen und Inhaltslernen sind notwendige Merkmale von Lernprozessen. Der Lernstil bzw. der Lerntyp kann daher nicht wie bei Kolb (1981) als überdauernde Persönlichkeitseigenschaft gedacht werden, was den fehlenden präskriptiven Gehalt von Lernstiltest (vgl. Jonasson 1993) erklärt . Statt einer Orientierung an Lernstilen gilt es, in der Unterrichtsmethode die Aufgabe der Verständigung zu reflektieren und dabei den inhaltlichen, individuellen und gesellschaftlichen Kontext ebenso wie das dem Sprachspieler als dem Gebildeten der Informationsgesellschaft (vgl. Meder 1998) entsprechende Metalernen zu berücksichtigen, wobei das in der Gestaltung von Metalernen liegende Potential bisher wenig genutzt wird.

Zum derzeitigen gesellschaftlichen Kontext gehören Individualisierungstendenzen (vgl. Sennett 1998). Dieser Bedingung entspricht das individualisierte Lernen, das individualisierte Methoden erfordert. Bei der Gestaltung von Online-Lernumgebungen reicht es daher nicht, nur entdeckend oder nur problembasiert zu lehren. Stattdessen werden vielfältige didaktische Modelle benötigt. Eine didaktische Ontologie, die Methodenvielfalt realisiert (vgl. Meder 2006), berücksichtigt die gesellschaftlichen Individualisierungstendenzen und kann gleichzeitig der pädagogischen Notwendigkeit, Wissen dem einzelnen Menschen gemäß zu erschließen, entsprechen.

Um Wissen zu erschließen und zum Zwecke der Verständigung auszudrücken müssen notwendig sinnlich warhnehmbare, d.h. physische Gegenstände verwendet werden. Diese Gegenstände, deren Zweck die Verständigung zwischen Menschen ist, sind Medien.

4. Medien

Medien sind Gegenstände, die von Menschen als Zeichen verwendet werden (Swertz 2000). Sie weisen eine gegenständliche, eine pragmatische und eine semiotische Dimension auf, die gleichzeitig voneinander abhängig und voneinander getrennt, also im Sinne der relationalen Dialektik aufeinander bezogen sind. Als notwendige Bedingung von Verständigung sind Medien zugleich eine notwendige Bedingung für Bildung (vgl. Meder 2007).

Die gegenständliche Dimension von Medien bezeichnet den sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand. Als Gegenstände werden in Medien oft menschliche Produkte, d.h. Artefakte verwendet - z.B. Computertechnik. Wenn Menschen ein Artefakt herstellen, dann wird der dabei verwendete Gegenstand zum Zeichen, also wieder zu einem Medium, in dem ein Verständigungsanspruch ausgedrückt wird. Verständigung findet damit nicht nur mittels des Gegenstandes über den Inhalt, sondern auch über die physikalische Dimension von Medien statt. McLuhan (1992) hat dies metaphorisch als Botschaft des Mediums bezeichnet. Medien als Gegenstände wirken so auf die Menschen zurück, weil entgegen den Vermutungen von (Clark 1994) auch in der gegenständlichen Dimension von Medien ein Verständigungsanspruch ausgedrückt ist, wenn es sich um ein Artefakt handelt.

Um den Verständigungsanspruch, der in Computertechnik ausgedrückt ist, verstehen zu können, ist vom Gegenstand und der darin ausgedrückten Verständigungsabsicht auszugehen. Als Gegenstände handelt es sich bei heute verwendeten Computern meist um elektrische, digitale, universelle Turingautomaten mit Tastatur und Maus als Eingabegerät und einem Bildschirm als Ausgabegerät. Häufig sind Computer auch in Netzwerke eingebunden. Mit einem solchen Artefakt kann jedes technische Gerät simuliert werden, es kann jede digitalisierte Information gespeichert und schnell transportiert werden. Die Haltbarkeit von Informationen in elektronischen Speichern ist kurz.

Der in einem Mediums mit einer hohen Transportgeschwindigkeit und einer kurzen Speicherdauer ausgedrückte Verständigungsanspruch ist nicht die Förderung von Ideen der Fortdauer, Religion und dezentraler politischer und wirtschaftlicher Macht, sondern die Förderung der Ideen von Verwaltung, Recht und zentraler politischer und wirtschaftlicher Macht (vgl. Innis 1997, vgl. zu Innis: Hartmann 2000/Swertz 2000). Die Marginalisierung von Religion, die Verrechtlichung und die Zentralisierung von politischer und wirtschaftlicher Macht sind unter anderer Perspektive auch Kennzeichen von Globalisierung. Globalisierungstendenzen sind so gesehen ein Geltungsanspruch, der in der Computertechnik ausgedrückt ist.

Neben Globalisierungstendenzen sind Individualisierungstendenzen als Geltungsanspruch in der Computertechnik ausgedrückt. Vernetzte Computertechnik ermöglicht die Konstruktion einer Vielzahl von weltweit zugänglichen Kommunikationsräumen. Elias (1991, S. 347ff.) hat darauf hingewiesen, dass in dörflichen Strukturen nur wenige Gruppen existieren, während in Städten zahlreiche Gruppen als Integrationsebenen fungieren. Wenn es viele Gruppen gibt, sinkt die Verbindlichkeit der Teilhabe an einer Gruppe und der Wechsel zwischen den Gruppen wird leichter. Diese von Elias gezeigte Tendenz wird in Online-Kommunikationsräumen potenziert. Online-Kommunikationsräume bilden damit kein globales Dorf, sondern eine globale Stadt, in der die kurze und damit unverbindliche Teilhabe an Gemeinschaften das Individuum als das einzig Permamente hervortreten lässt. Individualisierung ist aus dieser Perspektive eine Folge der Computertechnik, die gleichzeitig als Mittel zur Lösung zahlreicher damit einhergehender Probleme verwendet wird.

Im Gegenstand werden also bewusste oder unbewusste Verständigungsansprüche ausgedrückt. Wenn Menschen ein Medium als dominantes Medium benutzen und damit den Verständigungsanspruch akzeptieren, entwickeln sie, wie McLuhan (1992) anhand des Verhältnisses von heißen und kalten Medien zu kalten und heißen Kulturen gezeigt gezeigt hat, eine Haltung, die es ihnen erlaubt, sich selbst, andere und die Welt zu verstehen. Gleichzeitig drückt sich diese Haltung als Erwartung an Verständigungsprozesse mit anderen Medien aus: Die Erwartung ist, dass auch in anderen Medien ausgedrückte Verständigungsabsichten dem Verständigungsanspruch der physikalischen Dimension des dominanten Mediums entsprechen. Diese Haltung ist ein medialer Habitus. Der mediale Habitus kann als Moment von Bildung, verstanden als Ausbildung eines Verhältnisses zu sich selbst, zu anderen, zur Welt und zu diesen Verhältnissen (Meder 1998, 2005) wieder reflektiert werden. Die Möglichkeit zur Reflexion ist in Medien schon angelegt. Diese Eigenschaft von Medien kann als mediale Reflexivität bezeichnet werden.

5. Mediale Reflexivität

Meder hat die Beziehung zwischen Medien einmal mit dem Ausdruck Reflexivität gekennzeichnet (Meder 1987, S. 173; 1995, S. 14). Im Anschluss daran lassen sich die Beziehungen innerhalb eines Mediums mit der relationalen Didalektik als mediale Reflexivität verstehen (Swertz 2000, S. 202ff.). In einem Medium reflektieren in diesem Sinne die physikalische, die semiotische und die pragmatische Dimension aufeinander. In der Musik ist der Laut nur ein Aspekt aus dem Möglichkeitsraum der Luft. Dennoch spiegeln sich in dem Laut die physikalischen Eigenschaften der Luft. In der semiotischen Dimension ist ein Wort nur eine Auswahl aus dem Möglichkeitsraum der Sätze. Dennoch spiegeln sich in dem Wort die semiotischen Eigenschaften der Sätze. In der pragmatischen Dimension ist die Verwendung eines Gegenstands als Zeichen nur ein Aspekt aus dem Raum möglicher Äußerungen eines Subjekts. Dennoch spiegeln sich in dem als Gegenstand verwendeten Zeichen die Eigenschaften eines Subjekts, wodurch empirische Sozialforschung möglich wird. Die mediale Reflexivität kennzeichnet dabei Freiräume, die im Gebrauch von Medien durch Menschen ausgefüllt werden.

Neben der intramedialen Reflexivität sind Medien in intermedialer Reflexivität aufeinander verwiesen. Digitale Computertechnik verweist in intermedialer Reflexivität auf zahlreiche andere Medien. Diese mediale Topologie eröffnet einen Raum für das Spiel mit Zeichen und Zeichensystemen. Der Raum ist dabei wegen der im Gegenstand ausgedrückten Verständigungsansprüche nicht neutral: Metaphorisch beschrieben ist Computertechnologie ein polarisierender Spiegel, der z.B. wissenschaftliches Wissen gut und mystisches Wissen schlecht spiegelt.

Die rationale Struktur der Computertechnologie wird z.B. an der Wettervorhersage deutlich. Computertechnologie legt es nahe, das Problem der Wettervorhersage nicht durch ein Gebet , sondern durch die Anwendung von Algorithmen auf Daten zu lösen. Diese Anwendung von Algorithmen auf Daten beinhaltet eine zweifache sprachliche Abbildung. Zuerst wird das Wetter auf die Wetterdaten abgebildet. Dann werden die Wetterdaten mittels eines Algorithmus, also eines expliziten und eindeutigen Verfahrens (Krämer 1988), auf die Vorhersage abgebildet. Dabei sind verschiedene Algorithmen möglich. Welcher der beste ist, kann ausprobiert werden. Dieses Spiel mit Methoden ist bildungsrelevant und zeigt den bildenden Gehalt der Computertechnologie, die, wie Meder (1998) treffend gezeigt hat, den Menschen zum Sprachspieler bildet.

Damit kann zusammenfassend festgehalten werden: Medien können mit dem relational-dialektischen Ansatz zum einen als Gegenstände, die von Menschen als Zeichen verwendet werden, begrifflich bestimmt, und zum anderen, insofern Bildung immer auch Verständigung meint, als eine Bedingung für Bildungsprozesse ausgewiesen werden. Die relational-dialektische Systemtheorie ist damit für eine Grundlegung der Medienpädagogik geeignet. Der bildende Gehalt von Computertechnologie liefert zugleich eine Begründung für den Einsatz dieses Mediums in Bildungsprozessen, die unabhängig von politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Interessen die Fachdidaktik Medien orientieren kann. Damit kann die Aufgabe, eine detaillierte Grundlegung der Medienpädagogik mit der relationalen Dialektik vorzunehmen, als lohnend angesehen werden.

Literatur:

Schmied-Kowarzik, W./Benner, D. (1969): Prolegomena zur Grundlegung der Pädagogik II: Die Pädagogik der frühen Fichteaner und Hönigswalds. Möglichkeiten und Grenzen einer Erziehungsphilosophie, Ratingen/Kastellaun/Düsseldorf.

Clark, R. E. (1994): Media will never influence learning. In: Educational Technology Research and Development, Volume 42, Number 2 / June, 1994, S. 21-29

Elias, N. (1996): Die Gesellschaft der Individuen. 3. Aufl., Frankfurt am Main.

Habermas, J. (1983): Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Adorno, T. W.; Horkheimer, M. (1969): Dialektik der Aufklärung. Frankfurt am Main.

Hartmann, F. (2000): Medienphilosophie. Wien.

Innis, H. A. (1997): Tendenzen der Kommunikation. Wien, New York (Original: ders.: The Bias of Communication. Toronto 1951).

Jonassen, D. H./Grabowski, B. L. (1993): Handbook of Individual Differences, Learning, and Instruction. Hillsdale, NJ.

Kolb, D. A. (1981). Learning Styles and Disciplinary Differences. In: Chickering, A. W. (Ed.): The Modern American College, S. 232-255.

Krämer, S. (1988): Symbolische Maschinen. Die Geschichte der Formalisierung in historischem Abriß. Darmstadt.

Litt, T. (1952): Führen oder Wachsenlassen. Stuttgart.

Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme. Frankfurt am Main.

McLuhan, M. (1992): Die magischen Kanäle. Understanding Media. Düsseldorf.

Meder, N. (1975): Prinzip und Faktum. Transzendentalphilosophische Untersuchungen zu Zeit und Gegenständlichkeit im Anschluss an Richard Hönigswald. Bonn.

Meder, N. (1987): Der Sprachspieler. Köln.

Meder, N. (1995): Multimedia oder McLuhan in neuem Licht. In: GMK - Rundbrief 37/38, S. 8-18.

Meder, N. (1998): Neue Technologien und Erziehung/Bildung. In: Borelli, M; Ruhloff, J.: Deutsche Gegenwartspädagogik Bd. III. Hohengehren, S. 26-40.

Meder, N. (2005): Der Sprachspieler. Der postmoderne Mensch oder das Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologien. 2. Aufl., Würzburg.

Meder, N. (2006): Web-Didaktik. Eine neue Didaktik webbasierten, vernetzten Lernens. Bielefeld.

Meder, N. (2007): Theorie der Medienbildung. In: Sesink/Kerres/ Moser (Hrsg.): Jahrbuch Medienpädagogik 6. Medienpädagogik - Standortbestimmung einer erziehungswissenschaftlichen Disziplin, S. 55-73.

Sennett, R. (1998): Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin.

Schulz, R. (1997): Erfahrung und Experiment bei Hönigswald und Merleau-Ponty. In: Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Erkennen-Monas-Sprache. Internationales Hönigswald-Symposion in Kassel 1995. Würzburg, S. 195-210.

Swertz, C. (2000): Computer und Bildung. Eine medienanalytische Untersuchung der Computertechnologie in bildungstheoretischer Perspektive. Bielefeld.

Vogel, P. (1998): Stichwort: Allgemeine Pädagogik in: ZfE, 1. Jg. H. 2, S. 157-180

Wittgenstein, L. (1993): Philosophische Untersuchungen. In: ders.: Tractatus logico-philosophicus. Werkausgabe Band. 9. durchgesehene Aufl., Frankfurt am Main, S. 225-580.