Christian Swertz: Mediale Reflexivität

Einleitung

"Guten Morgen, meine Damen und Herren!". Nach diesem Satz wissen Sie, ob die Referentin oder der Referent gut drauf ist, einen ironischen Unterton anschlägt oder stocksteif wirkt. Die Kommunikation auf der Beziehungsebene sagt ihnen, welche Bedeutung der Inhalt hat - und oft genug ist diese Kommunikation wichtiger als das, worum es "eigentlich" geht.

Für Paul Watzlawick ist der Umstand, dass es Kommunikation auf der Inhalts- und der Beziehungsebene gibt, ein Axiom. Das scheint zuzutreffend, da die Kommunikation über Kommunikation auch eine Inhalts- und Beziehungsebene hat (Sie haben jetzt auch schon eine Einschätzung dieses Artikels). Über Kommunikation kann man also nicht ohne Kommunikation kommunizieren; es kann kein Standpunkt jenseits von Kommunikation eingenommen werden.

Offenbar ist aber dennoch eine Verständigung über Kommunikation möglich - es ist das, was wir gerade tun. Wie ist das möglich? Verständigung über Kommunikation ist zumindest als nachträgliche Verständigung über Kommunikation und als Gleichzeitigkeit von Verständigung und Verständigung über Kommunikation denkbar. Damit ist aber Verständigung in ihren begrifflichen Voraussetzungen analysierbar - und kein Axiom.

Im Folgenden werden Medien als eine Bedingung der Möglichkeit von Verständigung untersucht. Damit ist ein komplexes Probleme verbunden: Medien sind auch Gegenstände: Papier und Farbe, Luft und Schalwellen etc. Medien wie die Schriftsprache werden nun zum Zwecke der Verständigung über Gegenstände verwendet. Damit werden für die Verständigung über Gegenstände auch Gegenstände verwendet. Zugleich muß für die Verständigung über Gegenstände zwischen Gegenständen und der Verständigung über Gegenstände unterschieden werden. Inwiefern kann unter diesen Umständen über Medien nachgedacht werden?

Damit ist die Frage aufgeworfen, wie das Verhältnis von Gegenständen und Verständigung, von Welt und Denken, von Natur und Kultur, von Faktum und und Faktum gedacht wird. Auf diese für jede Theorie konstitutive Frage gibt es verschiedene Antworten. Um den Rahmen abzustecken, in dem ich hier denke, darf ich Sie zu einer Art Theorietour einladen. Dazu werden wir gleichsam von einem Aussichtspunkt aus einen Blick auf verschiedene Sehenswürdigkeiten werfen. Anchließend werden wir das Fernglas der begrifflichen Klärung zur Hand nehmen und damit einen Blick auf die Landschaft werfen. Einer interessanten Sehensürdigkeit - der Computertechnologie - werden wir anschließend eine Stippvisite abstatten.

Steigen wir also auf die Aussichtsplattform und werfen einen Blick auf das systemtheoretische Denken von richard Hönigswald , die Symboltheorie von Ernst Cassirer , die Medientheorie von harold Innis und marshall McLuhan und die Bildungstheorie von norbert Meder ..

Hönigswald sieht den Sinn pädagogischen Verhaltens in "der Überlieferung eines [...] Geltungsbestandes von einer Generation an die nachfolgenden durch die Vermittlung der zeitlich nächsten" (Hönigswald 1927: 25). Er untersucht diesen Überlieferungsprozess durch die Analyse der Voraussetzungen des Überlieferungsprozesses: der Verständigung von Subjekten über Gegenstände in Gemeinschaften im pädagogischen Handeln. Aus seinem System sind hier drei Ideen relevant: Zunächst der Umstand, dass Hönigswald den Gegenstandsbereich seiner Theorie so setzt, dass die Theorie selbst in den Bereich der Theorie fällt; dann die relationale Denkmethode Höngiswalds und der Umstand, dass er Gegenständen ein grundlegendes Eigenrecht zugesteht.

Höngiswald untersucht die Verständigung über Gegenstände als Bedingung der Möglichkeit von Pädagogik. Die Verständigung über Gegenstände ist aber auch eine Bedingung der Möglichkeit der wissenschaftlichen Tätigkeit. Damit ist die wissenschaftliche Untersuchung des pädagogischen Handelns zugleich auch pädagogisches Handeln. Höngiswald kann so ansetzen, weil für ihn Prinzip und Faktum zusammenfallen (Meder 1975). Werden Prinzip und Faktum als grundsätzliche Einheit gedacht, liegt die Theorie in ihrem eigenen Gegenstandsbereich (Schneider 1989: 33). Diese Denkmethode ist für die Analyse von Medien unverzichtbar, weil die Analyse von Medien nicht ohne den Gebrauch von Medien durchgeführt werden kann.

Aus dieser Sicht heraus ist das Schreiben über Medien möglich, indem ein Medium verwendet wird, um das Medium selbst zu betrachten. Dann ist ein Drittes erforderlich, das die Differenz herstellt. Oder mit einem Medium wird ein anderes Medium betrachtet. In beiden Fällen müssen Relationen angenommen werden. Relationen als Denkmethode verwendet Hönigswald in seiner Analyse pädagogischen Handelns (Schneider 1989: 29f.; Meder 1975: 9f.). Er denkt Begriffe nicht als ewig gültige Ideen, sondern als Ideen, die im historischen Wandel (zeitlich) in Relationen zueinander (räumlich) gedacht werden müssen.

Dabei zeigt Höngiswald , dass wir als Subjekte in unserer Relation zu Gegenständen Gegenständen ein Eigenrecht zuerkennen müssen. Wir können Gegenstände beschreiben, und zugleich beanspruchen Gegenstände anerkannt zu werden. Medien, die immer auch physikalische Gegenstände sind, beanspruchen, von uns anerkannt zu werden. Anders gesagt: Wir gestalten als Subjekte Medien, und die Struktur von Medien wirkt im Prozess der Anerkennung. Damit stellt sich die Frage, inwiefern Medien Anerkennung beanspruchen.

Die letztere Überlegung findet sich - in einer nicht vergleichbaren Theoriearchitektur - bei McLuhan . Er verdichtet die Überlegung in dem Ausspruch: Das Medium ist die Botschaft. McLuhan vermutet, dass der Inhalt eines Mediums ein anderes Medium ist und die Inhalte irrelevant sind. Das, was mit einem Medium mitgeteilt wird, ist die Struktur eines anderen Mediums. McLuhan hatte - so die hier vorgeschlagene Lesart - dabei die physikalische Struktur von Medien im Blick, die - mit Hönigswald gesprochen - im Gebrauch des Gegenstandes Anerkennung verlangt. Zugleich hat McLuhan mit der Vermutung, dass ein Medium ein anderes enthält, die Relationen zwischen Medien mitgedacht. So plausibel McLuhan seine These auch machen kann, so wenig erläutert er die begrifflichen Voraussetzungen, die in seiner These implizit enthalten sind.

Meder hat die von McLuhan vorgeschlagene Struktur der Beziehung zwischen Medien als Reflexivität interpretiert (Meder 1987: 173; 1995: 14). Mit dem Begriff der Reflexivität bezeichnet er die Relation zwischen Medien. Die Interpretation steht dabei im Kontext von Meders Bildungsdenken. Er hat Bildung bestimmt als die Ausbildung eines Verhältnisses zu sich selbst, zu anderen und zur Welt und als Ausbildung eines Verhältnisses zu diesen Verhältnissen (Meder 1999: 25f.). Diese Verhältnisse im Bildungsprozess, so meine These, sind nicht anders als medial vermittelt zu denken.

Die mediale Vermittlung bleibt nicht ohne Einfluß auf den Bildungsprozess, weil die Gegenstände im Bildungsprozess Anerkennung fordern. Die Art und Weise, wie wir Bedeutung erzeugen, ist mitbestimmt durch das Medium, das wir verwenden. Das zeigen die Untersuchungen von Innis zur Strukturierung der Wahrnehmung von Zeit und Raum durch Medien in der Kultur. Innis weist nach, dass die Verteilung von Wissen in Zeit und Raum Effekte auf die Kultur hat, die von den Eigenschaften der verwendeten Medien abhängen. Er unterscheidet die Betonung von Zeit durch dauerhafte und schlecht zu transportierende Medien wie Tontafeln von der Betonung des Raumes durch gut zu transportierende, weniger dauerhafte Medien wie Papyrus (Innis 1997: 95). Innis belegt für Medien, die sich besonders für die zeitliche Wissensverbreitung eignen, die Förderung von Ideen der Fortdauer, Religion und dezentraler politischer Macht. Die Medien, die sich besser für die räumliche Wissensverbreitung eignen, begünstigen dagegen die Stärkung von Verwaltung, Recht und zentraler politischer Macht. Diese Effekte verändern sich, wenn der gleiche Inhalt an ein anderes Medium gebunden wird - ohne das der Inhalt selbst verändert wird.

Medien wirken dabei nicht deterministisch. In der Verständigung mittels Medien bestehen Freiräume in Form von Leerstellen, die von Menschen im Handeln mit Bedeutung gefüllt werden. Das hat Cassirer am Spracherwerb gezeigt. Der Spracherwerb beginnt nach Cassirer mit dem Übergang vom direkten Ausdruck in die hinweisende Gebärde, von der hinweisende in die nachahmende Gebärde und von der dazutretenden darstellenden Gebärde in den darstellenden Laut. Im Übergang von der darstellenden Gebärde in den darstellenden Laut gewinnt der Laut innere Freiheit (Cassirer 1964: 133). Die innere Freiheit bezeichnet die Leerstelle im Übergang von der darstellenden Gebärde zum darstellenden Laut. Dieser Übergang muß als Übergang zwischen Medien begriffen werden.

Welchen Eindruck hat der Rundblick hinterlassen? Bildungsprozesse sind stets medial vermittelt. Medien sind nur mit einer selbstreflexiven Theoriearchitektur, die sich selbst mitdenkt, zu beschreiben. Die Medien sind in Relationen zueinander, d.h. in einer topologischen Struktur zu denken. In der Relation zwischen Medien bestehen Leerstellen, die mit Bedeutung gefüllt werden können. Die Relation zwischen Medien wird im folgenden als mediale Reflexivität bezeichnet. Die Vermutung ist, dass die mediale Reflexivität eine topologische Strukur eröffnet, die als eine Voraussetzung für das Spiel mit Zeichen anzusehen ist. Ein Blick auf die Relationen zwischen Medien verspricht damit interessante Einsichten in den Bildungsprozess. Dafür lohnt sich ein genauerer Blick - es ist Zeit, das Fernglas in die Hand zu nehmen.

Medien

Medien sind Gegenstände, die von Menschen zu Zeichen gemacht werden. Physikalische, pragmatische und semiotische Dimension stehen dabei in dialektischen Relationen zueinander. Nach Lay (1996: 18) ist eine dialektische Relation dadurch bestimmt, dass die Relata (1) voneinander unterschieden sind, (2) aufeinander verweisen und sich (3) wechselseitig beeinflussen. Die Relationen in einem Medium bestehen (A) zwischen physikalischer und semiotischer Dimension, (B) zwischen pragmatischer und semiotischer Dimension und (C) zwischen pragmatischer und physikalischer Relation.

(A.1) Die Unterschiedlichkeit zwischen physikalischer und semiotischer Dimension zeigt sich darin, dass mit der semiotischen Dimension etwas anderes bezeichnet wird als die physikalische Dimension ('Baum' bezeichnet nicht das Wort auf dem Papier). (A.2) Allerdings ist ein physikalischer Gegenstand nur insofern als physikalischer Gegenstand zu erkennen, als er mit einem Zeichen als solcher bezeichnet wird, und für das Zeichen ist wiederum ein physikalischer Gegenstand als Zeichenträger erforderlich. (A.3) Die physikalische Dimension begrenzt die semiotische Dimension, in der wiederum Regeln zum Gebrauch der physikalischen Dimension bestehen, so dass die Veränderung der einen Dimension auch eine Veränderung der anderen zur Folge hat.

(B.1) Der Menschen als Subjekt kann nicht mit der semiotischen Dimension gleichgesetzt werden, und Zeichen sind schon wegen des physikalischen Trägers nicht beliebig verwendbar. (B.2) Menschen benötigen Zeichen für ihre Bildung. Zeichen werden erst durch menschliche Tätigkeit zu Zeichen. (B.3) Wenn ein Mensch die Art seiner Tätigkeit verändert, verändert er auch den Gebrauch von Zeichen. Wenn Zeichen verändert werden (z.B. durch gesellschaftlichen Wandel oder indem sie an einen anderen physikalischen Gegenstand gebunden werden), verändert das auch den Menschen, der die Zeichen gebraucht.

(C.1) Das Selbst des Menschen ist nicht mit der physikalischen Dimension von Medien identisch. 1 Und die physikalischen Eigenschaften von Gegenständen können vom Menschen nicht beliebig verändert werden. (C.2) Menschen benötigen die physikalische Dimension von Medien im Bildungsprozeß. Physikalische Gegenstände werden erst durch menschliche Tätigkeit zu einer Dimension von Medien. (C.3) Menschen können die physikalische Dimension von Medien, d.h. die den Gebrauch als Medium begrenzenden Eigenschaften von Gegenständen verändern (vgl. Swertz 2000).

Wie sieht durch dieses Fernglas die mediale Reflexivität aus?

Intramediale Reflexivität

Eine mediale Reflexion ist die die Spiegelung eines Raumes in einem Aspekt. 2 Sie findet sich innerhalb eines Mediums. So ist ein Laut nur ein Aspekt aus dem Möglichkeitsraum der Luft. Dennoch spiegeln sich in dem Laut die physikalischen Eigenschaften der Luft. Ebenso ist ein Wort nur eine Auswahl aus dem Möglichkeitsraum der Sätze. Dennoch spiegeln sich in dem Wort die semiotischen Eigenschaften der Sätze, etwa in der gewählten Wortart. Zuletzt spiegelt sich in der semiotischen Dimension die physikalische Dimension, was z.B. daran sichtbar wird, dass ein gesprochenes Wort geschrieben eine andere zeitliche Struktur aufweist: es ist dauerhafter. Schematisch sind die Beziehungsn in Tab. 1 wiedergegeben.

SPRACHE

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Laut

Luft



Wort

Sätze


Raum





(Tab. 1)

Die Darstellung von Aspekten und Räumen der semiotischen und physikalischen Dimension der Sprache in Tabelle 5 faßt diese Aspekte des Medienbegriffs im Blick auf den Reflexionsprozeß zusammen. In beiden Dimensionen werden im Gebrauch des Mediums durch den Menschen Aspekte aus den Räumen hervorgehoben (doppelte Linien). Zugleich wird mit der semiotischen Dimension ein Aspekt aus der physikalischen Dimension hervorgehoben. Diese Differenz liegt zwischen den beiden Dimensionen, nicht zwischen den Räumen oder den Aspekten.

SCHRIFT

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Farbe

Papier



Buchstaben

Worte


Raum





(Tab. 2)

Beim Gebrauch der Schrift (Tab. 2) wird mit Farbe ein Aspekt des Papiers hervorgehoben, mit Buchstaben ein Aspekt von Worten und mit Buchstaben und Worten ein Aspekt von Farbe und Papier. Die Einteilung in Aspekt und Raum kann wegen der Notwendigkeit, auch die Einteilung an ein Medium zu binden, nur empirisch vorgenommen werden. Bei dem genannten Beispielen ist evident, dass die Schrift aus einzelnen Buchstaben zusammengesetzt und die Sprache aus Worten zusammengesetzt wahrgenommen wird.

In den Dimensionen und zwischen den Dimensionen besteht mediale Reflexivität. Die mediale Reflexivität kennzeichnet die Freiräume, die im Gebrauch geschlossen werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit Farbe auf Papier Zeichen eines Alphabets zu bilden. Ebenso gibt es verschiedene Möglichkeiten, aus Buchstaben Worte zu bilden; die gebräuchlichen Worte sind nur eine Auswahl aus dem Raum der Buchstaben, der eine Vielzahl weiterer Kombinationen ermöglicht.

Intermediale Reflexivität

Wie sieht die Relation zwischen Medien aus? Die Relation zwischen Medien stellt ein Mensch im Gebrauch her. Wenn Medien zueinander in Relation gebracht werden können, muß diese Relation mit den Merkmalen von Medien beschreibbar sein - sonst wäre der Medienbegriff unangemessen gefaßt. Die Beschreibung der Relation ist an der physikalischen, der semiotischen oder der pragmatischen Dimension anzusetzen. Hier werden nur die physikalische und die semiotische Dimension betrachtet; die pragmatische Dimension wird dazu als konstant gedacht. Es ergeben sich vier Relationsmöglichkeiten. Nach der hier verwendete Methode müssen zwei Medien in einer Dimension gleich und in einer anderen unterschieden sein, damit eine Relation besteht. Wenn beide Dimensionen verschieden sind, besteht keine mediale Reflexion. Wenn beide Dimensionen gleich bleiben, handelt es sich um das gleiche Medium.

Ein Beispiel für den Erhalt der physikalischen Dimension bei Austausch der semiotischen Dimension ist die mediale Reflexion der gesprochenen Sprache auf die Musik. Gesprochene Sprache und Musik sind akustische Medien. Bei beiden werden in der physikalischen Dimension Laute in der Luft gebildet. Während aber in der gesprochenen Sätze aus Lauten gebildet werden, besteht die Musik aus Tönen, die Melodien und Rhythmen bilden. Für Sätze und Melodien gelten unterschiedliche Regeln, d.h.: in der semiotischen Dimension werden unterschiedliche Grammatiken verwendet.

Nun folgen Sätze zwar einer anderen Grammatik als Melodien, aber auch in gesprochenen Sätzen gibt es eine Melodie. Diese Satzmelodie stellt eine Auswahl aus musikalischen Melodien dar (Meder 1995: 14). Insofern reflektiert die Sprache die Musik (Tab. 3). Da die Reflexion in der semiotischen Dimension liegt, wird diese Form als semiotische Reflexion bezeichnet.

SPRACHE

physikalisch

semiotisch


Musik

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Laut

Luft



Wort

Sätze


>>>>>>>>
semiot.
Reflexion
>>>>>>>>

Aspekt


Laut

Luft



Ton

Melodie


Raum





Raum





(Tab. 3)

Während Schrift semiotisch auf Bilder reflektiert, ist der Zusammenhang zwischen geschriebener und gesprochener Sprache komplexer. Bei der Reflexion der Schriftsprache auf die gesprochene Sprache findet ein Übergang vom akustischen ins visuelle Feld statt (Meder 1987: 36). Anstelle des Hörsinns wird der Sehsinn angesprochen. Welche Sinne angesprochen werden, ist abhängig von der physikalischen Dimension des Mediums. Wenn ein Übergang vom akustischen zum visuellen Feld stattfindet, muß die physikalische Dimension verändert werden. Beim Übergang von der gesprochenen Sprache zur Handschrift wird Luft/Laut durch Papier/Farbe ersetzt.

Nun bleibt die semiotische Dimension beim Übergang von der gesprochenen Sprache zur Schrift nicht unverändert. Wird das Wort 'Haus' erst ausgesprochen und dann aufgeschrieben, muß es dazu bei Verwendung eines phonetischen Alphabets in Buchstaben zerlegt werden. Wenn aber semiotische und physikalische Dimension verändert werden, reflektieren die Medien nach dem hier verwendeten Begriff medialer Reflexion nicht aufeinander. Um mit der vorgeschlagenen Struktur die mediale Reflexion von zwei unabhängigen Medien darzustellen, ist wenigstens ein Medium erforderlich, über das die Verbindung hergestellt wird. Für den Übergang von der gesprochenen Sprache zur Schriftsprache zeigt sich die Struktur im kindlichen Schriftspracherwerb, auf die wir jetzt den Blick richten.

Mediale Reflexivität im kindlichen Schriftspracherwerb

Im frühkindlichen Spracherwerb verwenden Kinder Lautfolgen zunächst als Wörter, weshalb hier auch das Wort als Aspekt der semiotischen Dimension der gesprochenen Sprache eingesetzt wird. Im Alter von ca. vier Jahren lernen Kinder dann die Zerlegung von Worten in Silben (Eisenberg 1995: 37), eine Fähigkeit, die als Voraussetzung für den Schriftspracherwerb anzusehen ist (Jansen u.a. 1999: 10). Diese semiotische Reflexion ist in Tabelle 4 wiedergegeben.

SILBEN

physikalisch

semiotisch


SPRACHE

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Laut

Luft



Silbe

Wort


>>>>>>>>>
semioti.
Reflexion
>>>>>>>>

Aspekt


Laut

Luft



Wort

Sätze


Raum





Raum





(Tab. 4)

Empirische Untersuchungen zum Schriftspracherwerb zeigen, dass Kinder keine Silben, sondern Phoneme in schriftliche Zeichen übertragen (Morais, Mousty, Kolinsky 1998: 127). Die Fähigkeit, Worte in Phoneme zu zerlegen, wird im Zuge des Schriftsprachunterrichts erworben und ist bei Vorschulkindern nur bei besonderem Training zu beobachten (Jansen u.a. 1999: 9). Kinder zerlegen Worte zunächst in Silben; die Silben werden dann in Phoneme zerlegt. Als nächster Schritt im Übergang von der gesprochenen Sprache zur Schriftsprache ist also die semiotische Reflexion der Phonemsprache auf die Silbensprache anzusehen. Dies ist in Tabelle 5 wiedergegeben.


PHONEME

physikalisch

semiotisch


SILBEN

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Laut

Luft



Segment

Silbe


>>>>>>>>>
semioti.
Reflexion
>>>>>>>>

Aspekt


Laut

Luft



Silbe

Wort


Raum










(Tab. 5)

In psychologischen Studien wird gezeigt, dass Kinder im Prozeß des Schriftspracherwerbs Phoneme unmittelbar in Grapheme übertragen. Dabei greifen sie auf die Namen für Buchstaben zurück (Treimann 1998: 371). Das Verhältnis von Phonemen und Graphemen wird in linguistischen Analysen genauer bestimmt. Dabei werden in der Phonologie die kleinsten Segmente der Phoneme und in der Graphematik die kleinsten Segmente der Grapheme untersucht. Diese Untersuchungen haben für das Deutsche Graphem - Phonem - Korrespondenzregeln (GPK - Regeln) ergeben, bei denen in der Regel ein Phonem genau einem Graphem zugewiesen wird (Eisenberg 1995: 63). Die psychologischen und linguistischen Analysen belegen, dass Phoneme und Grapheme die gleichen Zeichen beinhalten. Phoneme und Grapheme unterscheiden sich jedoch in der physikalischen Struktur. Zwischen Phonemen und Graphemen liegt daher eine physikalische Reflexion vor, die in Tabelle 6 abgebildet ist.

GRAPHEME

physikalisch

semiotisch


PHONEME

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Farbe

Papier



Segment

Silbe


>>>>>>>>>
physikal.
Reflexion
>>>>>>>>

Aspekt


Laut

Luft



Segment

Silbe


Raum





Raum





(Tab. 6)

Die Grapheme werden nun mit Buchstaben notiert. Dabei bestimmen historisch entstandene orthografische Normen, wie die aus Graphemen aufgebauten Worte aufzuschreiben sind. 3 Diese Normen lassen sich in weiten Teilen auf allgemeine Prinzipien zurückführen. Oftmals genügt die Kenntnis der GPK - Regeln, um ein Wort richtig zu schreiben. Aber auch silbenbezogene Regeln und das morphologische Prinzip kommen bei der Rechtschreibung zum Tragen (Eisenberg 1995: 59ff.). Die Einheit, auf die sich die orthografischen Regeln beziehen, ist das Wort. In der Schrift werden also Grapheme zu Worten zusammengesetzt. Diese semiotische Reflexion ist in Tabelle 6 wiedergegeben.


SCHRIFT

physikalisch

semiotisch


GRAPHEME

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Farbe

Papier



Buch-
stabe

Wort


>>>>>>>>>
semioti.
Reflexion
>>>>>>>>

Aspekt


Farbe

Papier



Segment

Silbe


Raum





Raum





(Tab. 6)

Obwohl physikalische und semiotische Reflexion nur zwei der möglichen medialen Reflexionsformen darstellen, wird die Komplexität des menschlichen Mediengebrauchs sichtbar. Die genannten Medien wie die gesprochene Sprache reflektieren auf weitere Medien. Mit anderen Worten: Menschen verwenden eine komplexe mediale Topologie. Diese Topologie wird durch den Simulationscharakter der Computertechnologie erweitert. Diese Erweiterung macht Computertechnologie für den Einsatz in Bildungsprozessen relevant. Wir erhalten eine neue Möglichkeit, zu uns ich zu sagen. Wie ist diese neue Möglichkeit zu verstehen?

Mediale Reflexivität der Computertechnologie

Computertechnologie verwendet in der physikalischen Dimension digitale elektrische Impulse. Digitalität ist ein Aspekt aus dem Raum der Elektrizität. Auf semiotischer Seite handelt es sich um einen universellen Turingautomaten, der den semiotischen Raum der Algorithmen eröffnet, in dem Kalkülzeichen gesetzt werden (Krämer 1995). Tabellarisch ist dies in Tab. 7 wiedergegeben.


COMPUTER

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Impuls

Elektrizität



Kalkülzeichen

Algorithmen


Raum





(Tab. 7)

Da Algorithmen für die Abarbeitung durch Computertechnik nicht mündlich, sondern schriftlich formuliert werden müssen, reflektiert Computertechnologie auf die Schriftsprache. Dies ist keine direkte Reflexion, da Schriftsprache sowohl in der semiotischen als auch in der physikalischen Dimension von der Computertechnologie zu unterscheiden ist. Daher ist ein Zwischenschritt anzusetzen, für den zwei Varianten möglich sind. Entweder werden Algorithmen auf Papier formuliert, und dieses Medium reflektiert dann auf die Schriftsprache. Oder Computertechnologie wird zur Formulierung von Wörtern mit Buchstaben verwendet, und dieses Medium reflektiert dann auf Papier und Farbe. Da Programme in der Regel mit einem Editor4 geschrieben werden, ist die zweite Form als dominant anzusehen. Diese Reflexion ist in Tab. 8 wiedergegeben.

EDITOR

physikalisch

semiotisch


SCHRIFT

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Impuls

Elektri-
zität



Buch-
stabe

Worte


>>>>>>>>>
physikal.
Reflexion
>>>>>>>>

Aspekt


Farbe

Papier



Buch-
stabe

Worte


Raum





Raum






COMPUTER

physikalisch

semiotisch


EDITOR

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Impuls

Elektri-
zität



Kalkül-
zeichen
Algo-
rithmus


>>>>>>>>>
semioti.
Reflexion
>>>>>>>>

Aspekt


Impuls

Elektri-
zität



Buch-
stabe

Worte


Raum




Raum





(Tab. 8)

In der physikalischen Reflexion wird mit der Digitalisierung und Elektrifizierung der Zeichen die Serialität und Linearität der Schrift verändert. In der semiotischen Reflexion wird aus dem Raum der Schriftsprache ein Aspekt ausgeschnitten, da Algorithmen keinen semantischen oder metasprachlichen Bezug aufweisen.

Mit Algorithmen können nun Medien simuliert werden. Ein Computer kann wie ein Fernseher oder ein Telefon oder ein Radio oder eine Schreibmaschine verwendet werden. Ein Computer ist allerdings kein Fernseher und keine Schreibmaschine. Wenn Computertechnologie als semiotisch statisches Medium verwendet wird, also ein Algorithmus so verwendet wird, als ob es sich um die physikalische Dimension eines anderen Mediums handelt, simuliert Computertechnologie ein anderes Medium. Der verwendete Algorithmus ist in diesem Fall als physikalische Dimension der Simulation anzusehen, da es für die Computertechnologie keinen Unterschied zwischen der semiotischen und der physikalischen Dimension gibt. Computertechnologie verweist so in medialer Reflexivität auf zahlreiche andere Medien. Diese mediale Topologie eröffnet nun im Austausch einer Dimension in der medialen Reflexion einen Raum für das Spiel mit Zeichen.

Computer werden nicht nur mit verschiedenen Algorithmen, sondern auch mit verschiedenen Ein- und Ausgabegeräten betrieben. Auch diese Ein- und Ausgaberäte verweisen auf andere Medien. Welche Veränderungen für das Spiel mit Zeichen in Bildungsprozessen ergeben sich durch die mediale Reflexivität der Computertechnologie?

Computertechnologie und das Spiel mit Zeichen

Mit Algorithmen kann jedes Medium simuliert werden, soweit die Eigenschaften des Mediums als Algorithmus formuliert werden. Dabei wird das simulierte Medium nicht identisch abgebildet. Das wird zum einen durch die notwendige Digitalisierung und Elektrifizierung verhindert, zum anderen durch die erforderliche explizite Formulierung aller Eigenschaften des simulierten Mediums im Algorithmus. Die Simulation von Medien durch Computertechnologie ist daher keine exakte Abbildung, sondern mit Verschiebungen verbunden. Das kann hier nur an einigen ausgewählten Algorithmen untersucht werden.

Die Textverarbeitung5 ist eine verbreiteter Typ von Algorithmen. Mit Textverarbeitungen wird die Schrift simuliert. Bei der medialen Reflexion der Textverarbeitung auf die Schrift wird in der physikalischen Dimension anstelle von Papier und Farbe der Textverarbeitungsautomat mit Eingaben verwendet (Tab. 9). Die semiotischen Regeln der Worte und Sätze werden dabei nicht verändert.

TEXTV.

physikalisch

semiotisch


EDITOR

physikalisch

semiotisch

Aspekt


Eingabe

Textver-
arbeitung



Buch-
staben

Worte


>>>>>>>>>
semioti.
Reflexion
>>>>>>>>

Aspekt


Farbe

Papier



Buch-
staben

Worte


Raum



K


Raum





(Tab. 9)

Im Falle von Textverarbeitungsautomaten werden meist Tastaturen als Eingabegeräte und Bildschirme als Ausgabgegeräte verwendet. Tastaturen schließen über mehrere Schritte an die Handschrift an. Die Handschrift wird bei der Produktion von Texten durch die Schreibmaschine verdrängt (Faulstich u.a. 1993: 367-378). Die Schreibmaschine und die Handschrift unterscheiden sich im Produktionsprozeß. Während im Gebrauch der Handschrift mit einem Stift alle Buchstaben auf das Papier aufgetragen werden, weist die Schreibmaschine für jeden Buchstaben einen gesonderten Typenhebel auf. Die Trennung der Buchstaben wird so unmittelbar sinnlich erfahrbar.

Neben der Trennung der Buchstaben trennt die Tastatur den Ort der motorischen Bewegung von der visuellen Wahrnehmung. Damit trennt die Schreibmaschine nicht nur die Buchstaben voneinander, sondern auch die Bewegung von der Wahrnehmung. Während die Handschrift Motorik und Sehsinn an einem Ort konzentriert, entfernt der Typenhebel beides voneinander. Die trennende Struktur legt eine trennende, d.h. analytische Denkweise nahe.

Mit der Tastatur wird die komplizierte Bewegung der Handschrift durch eine einfache Bewegung ersetzt. Der Schreibprozeß wird durch die Einschränkung auf eine einfache Bewegung beschleunigt. Das erhöht die Produktionsgeschwinigkeit. Zugleich ist die Anordnung und der Schriftschnitt der Buchstaben durch die Mechanik der Schreibmaschine festgelegt. Schreibmaschinen produzieren in Relation zur Handschrift ein gleichförmiges Schriftbild. Dieses Schriftbild ermöglicht schnellere Lesen. Die Rezeptionsgeschwindigkeit wird erhöht. Durch die schneller Produktion und Rezeption steigt die Übermittlungsgeschwindigkeit.

Beim Übergang von der Schreibmaschine zur Computertastatur wird die Typenhebelmechanik durch einen digitalen elektrischen Turingautomaten ersetzt. Der Effekt der Elektrifizierung der Tastatur ist schon bei der elektrischen Schreibmaschine sichtbar: Die Bewegung wird gegenüber der mechanischen Schreibmaschine nochmals vereinfacht und beschleunigt. Mit der Verwendung der Computertechnologie verändert sich darüber hinaus die Funktionsweise der Tastatur. Bei der Schreibmaschine bringt jeder Hebel eine Folge immer gleicher Buchstaben hervor. Diese starre Verbindung wird mit der Computertechnologie aufgehoben, weil ein Schalter der Tastatur je nach Zustand des Automaten unterschiedliche Funktionen auslösen kann.

Tastaturen als Eingabegeräte werden bei der Verwendung von Textverarbeitungsprogrammen meist mit Bildschirmen als Ausgabegeräten kombiniert. Die Bildschirme ersetzen zunächst die Ausgabe auf einem Drucker. Alphanumerische Bildschirme können zunächst wie die vorher verwendeten Drucker nur Buchstaben und Zahlen anzeigen. Dabei wird nicht Papier und Farbe, sondern die Kathodenstrahlröhre verwendet. Es handelt sich um eine physikalische Reflexion (Tab. 10).

MONITOR

physikalisch

semiotisch


DRUCKER

physikalisch

semiotisch

Zeichen


Kathoden
strahl

Fluoroes
zenzsch.



Buch-
staben

Worte


>>>>>>>>>
semioti.
Reflexion
>>>>>>>>

Zeichen


Farbe

Papier



Buch-
staben

Worte


Raum





Raum





(Tab. 10)

Bildschirme bringen wie die Schreibmaschine den Text in die Senkrechte. Dabei ist die Entfernung zwischen Computertastatur und Bildschirm größer als die zwischen Schreibmaschinentastatur und Blatt. Handlung und Wahrnehmung erfolgen zudem durch getrennte Geräte und rücken weiter auseinander; Motorik und Sehsinn werden auseinandergezogen.

Wegen der im Vergleich zum Papier geringen Speicherdauer (Bildschirm ca. 1/50 Sekunde, Papier ca. 500 Jahre) wird der Text dynamisch. Die Dynamisierung der Buchstaben führt dazu, dass Formulierungen nicht mehr feststehen, sondern fortlaufend geändert werden können. Dadurch können auch leicht verschiedene Versionen eines Textes hergestellt werden. Computertechnologie legt damit - aus Sicht des Buchdrucks gesprochen - die Produktion vorläufiger Texte nahe.

Der augenfälligste Unterschied zwischen Monitor und Drucker ist die geringe Auflösung des Monitors. Heute liefert ein Standarddrucker ca. 600 dpi (dots per inch). Dagegen lösen Bildschirme nur mit ca. 75 dpi auf. Durch die unscharfe Anzeige wird Lesen anstregender und die Rezeptionsgeschwindigkeit sinkt. Während dieser Nachteil beim Schreiben, also der Produktion, keine große Rolle spielt, muß ein mehrseitiger Text für die effektive Rezeption - auch des selbst produzierten Textes - ausgedruckt werden. Produktion und Rezeption werden getrennt.

Zudem sind auf einem Bildschirm im Vergleich zu einer Druckerseite nur relativ wenige Buchstaben darstellbar. Diese Begrenzung legt es nahe, einen Bildschirm zur Anzeige von Bildern zu verwenden (Meder 1997: 10) oder die Bedeutung pro Zeichen zu erhöhen. Ein Beispiel für die Tendenz, Bilder statt Text auf dem Bildschirm zu präsentieren, sind grafische Benutzeroberflächen. Der Text wird dabei durch Sinnbilder ersetzt. Mit der bildlichen Darstellung wird jedoch nicht mehr auf Drucker, sondern auf das Fernsehen reflektiert. Bei Fernsehen und Computermonitoren ist die physikalische Dimension identisch. Während jedoch auf den Fernsehbildschirm fast ausschließlich bewegte Bilder übertragen werden, bringen Programme überwiegend stehende Grafiken auf den Monitor. Es handelt sich um eine semiotische Reflexion.

MONITOR

physikalisch

semiotisch


TV

physikalisch

semiotisch

Zeichen


Kathoden
strahl

Fluoroes-
zenzsch.



Bild-
punkt

Grafik


>>>>>>>>>
semioti.
Reflexion
>>>>>>>>

Zeichen


Kathoden
strahl

Fluoroes
zenzsch.



Einzel-
bild

Film


Raum





Raum





(Tab. 11)

Die mediale Reflexion des Monitors auf den Fernseher hat Meder anhand der Metapher des Schlüsselochs herausgearbeitet (Meder 1998: 34f.). In der semiotischen Dimension ist der Bildschirm ein Schlüsselloch, da die mit Algorithmen erzeugten Grafiken keinen abschattierten Hintergrund haben, der als Kontext der Zeichen interpretiert werden könnte. Während beim Fernsehen das Verhältnis von statischen zu bewegten Bildanteilen den Aufbau eines inneren Bildes für den Hintergrund begünstigt, muß für die meist stehende Bilder anzeigenden Algorithmen eine andere Lösung gefunden werden. Dies gelingt mit den sogenanten 'Icons', den Sinnbildern, die auf die nicht - sichtbare Umgebung des Bildschirms verweisen (Meder 1997: 9).

Die Begrenzung des Bildschirms führt dazu, den Hintergrund durch Sinnbilder in das Bild hineinzunehmen. Bei Sinnbildern, deren Bedeutung erst erschlossen werden muß, sinkt jedoch die Rezeptionsgeschwindigkeit. Nun ist für eine Erhöhung der Bedeutung pro Zeichen nicht unbedingt die Verwendung von Sinnbildern erforderlich. Auch bei Text läßt sich die Bedeutung pro Zeichen erhöhen, indem Text als Superzeichen - etwa bei Hypertexten als Anker oder in sogenannten Menüs - gekennzeichnet wird. Entscheidend ist in jedem Fall, dass der Kontext sichtbar gemacht wird.

Werden Bildschirme zur Ausgabe von Fließtexten verwendet, bleibt die Bedeutung pro Zeichen unverändert. Die Übertragungsgeschwindigkeit ist durch die vereinfachte Produktion erhöht. Die Haltbarkeit verändert sich mit dem Speichermedium. Im elektronischen Speicher und auf dem Bildschirm ist die Haltbarkeit gering; sie liegt deutlich unter einer Sekunde. Disketten als Speichermedium sind ca. 10 Jahre und damit länger haltbar als elektronische Speicher, aber deutlich kürzer als Papier.

Neben Textverarbeitungen sind Algorithmen zur Darstellung von Hypertexten (Internetbrowser) weit verbreitet. Für das Schreiben von Hypertexten wird in der Regel eine Textverarbeitung bzw. ein Editor verwendet. Mit der Textverarbeitung werden die Anker und Links formuliert. Hypertexte reflektieren medial auf Textverarbeitungen (Tab. 12)

HYPERT.

Algorithmus

semiotisch


TEXTV.

Algorithmus

semiotisch

Zeichen


Eingabe

Programm



Knoten

Links


>>>>>>>>>
semioti
Reflexion
>>>>>>>>

Zeichen


Eingabe

Programm



Buch-
staben

Worte


Raum





Raum





(Tab. 12)

Im WWW werden meist Bildschirme als Ausgabemedien verwendet. Das macht es erforderlich, die Größe der Knoten an den Bildschirm anzupassen. Damit entsteht das Problem, den Kontext des Bildschirminhalts abzubilden. Das geschieht wie bei grafischen Benutzeroberflächen dadurch, dass die Bedeutung der Zeichen erhöht wird.

Die Zeichen werden nun nicht fest im Computer der Rezipierenden gespeichert, sondern stets neu übertragen. Die Haltbarkeit ist gering. Die Produktionsgeschwindigkeit von Hypertexten ist höher als die von gedruckten Büchern. Die Rezeptionsgeschwindigkeit ist in Hypertexten geringer, weil in Relation zum Buch ein hoher Navigationsaufwand besteht und der Bildschirm eine höhere Bedeutung pro Zeichen und damit einen höheren Interpretationsaufwand erfordert. Insgesamt wird, wenn man sich die für ein Buch erforderliche Produktionszeit vergegenwärtigt, die Übertragungsgeschwindigkeit jedoch erhöht.

Computertechnologie hat einen trennenden Effekt. Damit verbunden ist eine beschleunigte Produktion und Rezeption von Text sowie eine Invidualisierung der Dokumente. Gleichzeitig sinkt die Haltbarkeit der Zeichen. Damit wird der Charakter der übermittelten Zeichen verändert. Das hat Einfluß auf die Konstruktion von Sinn und Bedeutung in Bildungsprozessen.

Innis schreibt im Blick auf die mündliche Tradition der frühen Christen:

"Jedes Wort war mit tiefer Bedeutung, mit Mysterien und magischen Kräften angefüllt" (Innis 1997: 155).

Eine hohe Bedeutung pro Zeichen ist erforderlich, wenn es nicht möglich ist, viele Worte zu notieren und zu verbreiten und dennoch ein komplexer Inhalt übermittelt werden soll (z.B. zehn Gebote auf Steintafeln). Das Verständnis solcher Texte erfordert viel Interpretationsaufwand und damit viel Zeit. Die Übermittlungsgeschwindigkeit ist gering.

Mit der Möglichkeit, viel Text in kurzer Zeit zu produzieren und zu rezipieren und diesen auch noch schnell transportieren zu können besteht kein Erfordernis mehr, viel Bedeutung an ein Zeichen zu binden. Tiefe Bedeutung, Mysterien und magischen Kräfte werden mit der Computertechnologie gleichsam ausgeblendet. Damit wird zugleich die Macht, die von Zeichen mit hoher Bedeutung ausgeht, reduziert.

In Bildungsprozessen, in denen Hypertexte als Medien eingesetzt werden, zeigt sich dieser Umstand an der geringeren Kontrolle der Lehrenden. Die Lesefolge und der Rhythmus können nicht mehr vorgeschrieben werden, wenn die sich Bildenden selbst einen Weg durch den Text wählen. Noch deutlicher wird der Effekt, wenn von den sich Bildenden selbst Links erzeugt werden und so die räumliche Kontrolle übernommen wird. Das heißt aber auch, dass die sich Bildenden die Kontrolle über den Bildungsprozeß in höherem Maße selbst übernehmen müssen.

Dadurch gewinnt die individuelle Auseinandersetzung mit einem Text an Bedeutung. Während mit dem Buchdruck die immer gleiche Wahrheit verkündet wird (die verschiedenen Exemplare eines gedruckten Buches sind identisch), ist Computertechnologie zum Transport solcher Wahrheiten ungeeignet. Gut geeignet ist Computertechnologie dagegen für die Auseinandersetzung mit einer individualisierten Wahrheit. Da mit der Verwendung von Computertechnologie eine Dynamisierung verbunden ist, handelt es sich darüber hinaus um eine handelnde Auseinandersetzung mit Wissen. Die zunehmende Verbreitung von Computertechnologie forciert so eine individualisierte Haltung zum Wissen.

Für den Bildungsprozeß ist festzuhalten: Mit der Verwendung von Textverarbeitungen und Hypertexten ist eine Veränderung der Bedeutung von Zeichen verbunden. Während unter der Bedingung des Buchdrucks klar ist, an welchen Texten der Bildungsprozeß zu vollziehen ist, läßt sich Bedeutung unter der Bedingung der Computertechnologie nicht mehr an standardisierte mediale Repräsentationen binden. "Alle alles zu lehren" wird zum "das Seine lernen". Die sich Bildenden werden in der Auseinandersetzung mit der Frage nach Bedeutung und Sinn auf sich selbst zurückgeworfen. Mit dem Anspruch der Aufklärung ist dies wünschenswert, weil damit die Ausbildung eines selbstverantworteten Verhältnisses zu Bedeutungen erforderlich ist. Damit verbunden ist allerdings eine erhebliche Herausforderung für die wissenschaftliche und praktische Pädagogik, weil rationale Prozesse, die den Aufbau von bedeutsamen Denkstrukturen unter der Bedingung der Computertechnologie ermöglichen, erst in den Prozeß der kulturellen Tradierung integriert werden müssen.

Literatur

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1 Wenn das so zutreffen würde, wären Denken oder Bewußtsein vollständig mit physikalischen Vorgängen im Gehirn zu erklären (vgl. dazu z.B. Roth: 1994).

2 Wie Meder schreibt, operiert jede Reflexion auf einer Metaebene über einer Objektebene. So reflektiert z.B. Sprache auf die Musik (Meder 1995a: 14). Die Operation auf der Metaebene erfaßt die Objektebene dabei nicht vollständig, sondern betont einen Aspekt, der dabei überhöht wird, indem er die Objektebene gleichsam spiegelt. Die damit verbundene Auswahl wird hier stärker in den Mittelpunkt gerückt.

3 Wie Montessori (1989, S.281f.) schreibt, können Kinder alle Wörter einer phonetischen Sprache in Buchstaben umsetzen, wenn die Laute mit den Buchstaben assoziiert werden. Im Italienischen ist das möglich, da die orthografischen Regeln eng an die Sprechweise angelehnt sind. Im Deutschen ist das schwieriger, da die orthografischen Regeln bei vielen Worten von der Sprechweise abweichen.

4 Als Editoren werden Algorithmen zur Eingabe von alphanumerischen Zeichen bezeichnet. Eine bekannte Form von Editoren sind Textverarbeitungsprogramme.

5 Der Begriff ist mißverständlich. Der eingegebene Text wird von der Computertechnologie nicht im Sinne des Abarbeitens verarbeitet. Computertechnologie wird lediglich wie ein Radiergummi, d.h. als semiotisch statisches Medium verwendet. Darin unterscheiden sich die verschiedenen heute vorliegenden Textverarbeitungen nicht.