Weltkommunikation und World Brain. Zur Archäologie der Informationsgesellschaft

Hartmann, Frank (2008) Weltkommunikation und World Brain. Zur Archäologie der Informationsgesellschaft. In: Wittgenstein and the Philosophy of Information. Proceedings of the 30th International Ludwig Wittgenstein-Symposium in Kirchberg, 2007. Ontos Verlag, Frankfurt, pp. 125-139.

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Abstract

Das infrastrukturelle Netzwerk der Telegraphenkommunikation wurde an jenen Punkten geknüpft, die in geopolitischer wie in merkantiler Hinsicht am interessantesten waren: entlang der Handelsrouten, und bis 1900 mit London als Zentrum der kolonial gestalteten Welt. Durch diese Knotenpunkte fließen bis heute die Datenströme der modernen Lebensform, an ihnen wird verkehrs- und nachrichtentechnisch „eine Welt geknüpft und zusammengezogen, die es vorher nicht gegeben hatte“ (Schlögel 2003, 75). Was bedeutet diese neue Infrastruktur für das Denken? Diese Frage wurde überraschenderweise schon im 19. Jahrhundert auch als eine philosophische Frage nach der neuen Technik gestellt. Es geht mir im folgenden also auch um eine Archäologie der Medienphilosophie, und zwar in materialer Hinsicht, nicht als theoretische Begriffsde?nition. Denn bei Medien geht es wesentlich nicht um Begriffe oder um Diskurse, sondern um Anwendungen und Infrastrukturen, um Techniken und Materialitäten. Hat die Philosophie des 20. Jahrhunderts die begrif?iche Repräsentation der Welt und die sprachliche Verfasstheit der Lebenswelt ins Zentrum gerückt (Linguistic Turn), so steht die Philosophie des 21. Jahrhunderts nun vor begriffslosen numerischen Repräsentationen auf Ober?ächen, für die eine platonische Anstrengung – die kritische Unterscheidung von Sein und Schein – nicht mehr so recht greifen mag. Dieser Medial Turn wird in der Folge eine neue Wahrnehmungstheorie verlangen, um der Sprache der neuen Medien habhaft zu werden (Manovich 2001), und eine post-typographische Erkenntnistheorie (Giesecke 2007), die es aber von den BildtheorieDiskursen zu unterscheiden gilt. Es ist relativ interessant zu beobachten, dass Medien und Netzwerke der Philosophie meist kein Thema sind, weil sie angeblich „bleibende“ philosophische Fragen nicht wirklich berühren und manchen daher als eine „vorübergehende Sache“ (Martin Seel) gelten. Aber der Rückzug in die Sicherheit „re?exiver“ Textwelten genügt nicht – von Philosophen erwartet sich die Öffentlichkeit hoffentlich wenigstens einigen Widerspruchsgeist angesichts des allgegenwärtigen Netbusiness. Sie erwartet sich auch eine Diskussion, die auf Augenhöhe ihrer Zeit ist, die sich also vor einer Auseinandersetzung mit Medientechnologien nicht scheut (vgl. Debray 2003).

Item Type: Book Section
Subjects: Philosophie > Philosophische Disziplinen > Medienphilosophie, Theorie der Virtualität, Cyberphilosophie
Depositing User: sandra subito
Date Deposited: 06 Dec 2020 15:28
Last Modified: 06 Dec 2020 15:28
URI: http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/3347

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