Simanowski, Roberto (1996) Cyberspace - einige Windows zum Medium der Zukunft. Tabula Rasa. Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken (11).
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Abstract
Ein Gespenst geht um in Amerika und Europa - das "Gespenst des Cyberspace"1. Alle jungen Kräfte in den Computer-Laboratorien und wissenschaftlichen Institutionen haben sich zu einer Jagd auf die technische Machbarkeit der künstlichen Realität verbündet. In zwanzig, dreißig Jahren, sagen sie, wird jeder seinen "Personal Simulator" zur Erzeugung künstlicher Realität besitzen. Sie prophezeihen eine ganz neue Art der Fremd- und Selbsterfahrung. Sie sagen die Demokratisierung der Kommunikation voraus, die Zunahme von Toleranz, das Aufblühen von Kreativität. Während viele Intellektuelle den Verlust alter Visionen beklagen, basteln die Computer-Freaks an einer neuen, gewaltigen Utopie.
"Multimedia", Wort des Jahres 95, feiert Hochkonjunktur in Magazinen, Zeitschriften und Büchern.2 Nicht immer geht es dabei direkt um Cyberspace oder "virtuelle Realität" (VR).3 Aber immer werden Perspektiven eines Paradigmenwechsels eröffnet, der sich mit der Entwicklung der elektronischen Medien abzeichnet. Dieser Paradigmenwechsel wird mal als kultureller, mal als kommunikativer, als pädagogischer, politischer, psychologischer, ethischer oder philosophischer spezifiziert; er umfaßt die Gesamtheit gesellschaftlicher Erscheinungen. Wann diese generelle Umwälzung akut bzw. in welchen Schritten sie sich vollziehen wird, bleibt im großen und ganzen Spekulation. Optimisten sprechen davon, daß in allernächster Zeit bahnbrechende Entdeckungen bevorstehen, Skeptiker verweisen auf unbewältigte technische Probleme und halten die perfekte Erzeugung virtueller Realität erst spät im nächsten Jahrtausend für möglich.4 Aus kulturkritischer Sicht ist die entscheidende Frage natürlich nicht, wie schnell und mit welchen konkreten Verfahren die Probleme des "Tracking"5 oder der Umsetzung von Geruch und Geschmack in die VR gelöst werden können, sondern ob der Erfolg der Techniker überhaupt wünschenswert ist.
In dieser Entweder-Oder-Fassung kann die Frage jedoch gar nicht gestellt werden. Denn auf bestimmten Gebieten, wie der Medizin oder der Architektur, überzeugt die Technik der Simulation wohl auch orthodoxe Gegner.6 Das Problem von Cyberspace liegt in seiner Zukunft als Massenmedium: der Gebrauch durch alle bereitet denen, die sich für die Gesellschaft und deren Entwicklung verantwortlich fühlen, Kopfschmerzen. Unter den Stichworten Realitätsverlust, Zerstreuungssucht und Cybersex treffen zahllose Warnungen ein. Diese müssen durchaus ernst genommen werden. Aber man sollte sie auch in ihrer Historizität wahrnehmen, denn wie ein Blick in die Geschichte zeigt, ist die Rede von der Großen Gefahr nicht neu. Was wir momentan erleben, ist Wiederholung.
Item Type: | Article |
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Uncontrolled Keywords: | Cyberspace, Medientheorie |
Subjects: | Philosophie > Philosophische Disziplinen > Medienphilosophie, Theorie der Virtualität, Cyberphilosophie |
Depositing User: | sandra subito |
Date Deposited: | 06 Dec 2020 12:19 |
Last Modified: | 06 Dec 2020 12:19 |
URI: | http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/2037 |
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- Cyberspace - einige Windows zum Medium der Zukunft. (deposited 06 Dec 2020 12:19) [Currently Displayed]