Guggenheim, Michael (2002) Umweltdienstleistungen als Wissenskultur: Von der Abwesenheit des Akademischen, des Gelehrten und des Experiments. UNSPECIFIED. (Unpublished)
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Abstract
Einleitung
Seit ca. 30 Jahren geht die Rede um von der Wissensgesellschaft. Nicht von der Wissenschaftsgesellschaft. So unscharf der Begriff ist, so verschieden die unterschiedlichen Theorieansätze sind und so umstritten die historische Legitimation des Begriffs ist: das Tagungsthema erlaubt mir anhand der Praxis von Umweltdienstleistungsfirmen einige Spezifika der Wissensgesellschaft herauszuarbeiten. Als Kontrastfolie dienen mir dabei die Leitbegriffe der Tagung: Wissenschaft, Gelehrte, Experiment.
Die drei Begriffe charakterisieren in umfassender Weise das Wissenschaftssystem, wie es im deutschsprachigen Raum im 19. Jahrhundert aufblühte und heute noch weiterbesteht:
Wissenschaft als ein gesellschaftliches Subsystem produziert nach eigenen Regeln, dem Code wahr/falsch, wie Luhmann sagen würde, Wissen. Ein weiteres zentrales Merkmal besteht darin, dass die Reputation einzelner Wissenschafter, und Reputation ist die Hauptressource im Feld Wissenschaft, unabhängig vom Code wahr/falsch ist. Ein guter Wissenschafter zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er viel Wahrheit produziert, sondern dass die Wahrheit, die er produziert, von anderen Wissenschaftern hochgeschätzt wird. Funktional ist das Wissenschaftssystem in Disziplinen organisiert, diese kontrollieren die Zuweisung von Reputation.
Die Fütterung des Codes wahr/falsch folgt im wesentlichen durch zwei Methoden, die ebenfalls im Titel angesprochen sind: Seit dem 17Jh. ist das Labor der Locus classicus der Wissensproduktion, dort werden Experimente veranstaltet, das heisst Versuchsanordnungen, die die Phänomene zwingen, ihr wahres Gesicht zu zeigen, so und nicht anders aufzutreten und damit nach dem Code wahr/falsch klassifizierbar werden.
Im andern Teil des Wissenschaftssystems, wo Experimente nicht möglich sind, in den Sozial- und Geisteswissenschaften, sowie in den klassifizierenden Naturwissenschaften, finden sich die Gelehrten, Fritz Ringers Mandarine, Hommes des lettres, Männer die (zu) viel gelesen haben und in Kulturpessimismus sich üben.
Im Ausschreibungstext heisst es relativ unscharf:
"Generell kann festgehalten werden: Wissenschaften sind gesellschaftliche Legitimationsinstanzen, denen in der öffentlichen Diskussion und in demokratischen Entscheidungsprozessen ein besonderer Stellenwert zukommt. Als professionelle Wissensproduzentinnen stehen sie sowohl in Kooperation als auch in Konkurrenz zu anderen - gesellschaftlich weniger legitimierten - Wissensproduzenten."
Unklar bleibt in der Passage, ob Wissenschaft als einziger professioneller Wissensproduzent vermutet wird, oder ob es noch andere professionelle Wissensproduzenten gibt, und wie diese zu definieren wären.
Im folgenden möchte ich anhand von Umweltdienstleistungsfirmen zeigen, dass es solche professionellen Wissensproduzenten gibt, und dass ihr Modus der Wissensproduktion mit keinem der drei Leitbegriffe der Tagung erfasst werden kann, dass aber diese Form der Wissensproduktion im momentanen Wissenschaftsforschungsdiskurs massiv unterbelichtet ist. Meine These wäre, dass dem so ist, gerade weil er nicht mit der bestehenden Konzeption von Wissenschaft vereinbar ist. Ich werde nicht Unterschiede zwischen den Firmen diskutieren, sondern die "Kultur" der Firmen im Unterschied zum hier spezifizierten Wissenschaftsbegriff. Ebenfalls, so könnte man einwenden, müsste ich mit einer spezifischen Disziplin vergleichen: Dies ist aber sinnlos, denn das Feld "Umweltdienstleistungen" lässt sich gerade nicht, wie bei den klassischen Professionen, Medizin oder Juristerei, auf eine einzelne Disziplin zurückführen.
Dazu will ich zuerst kurz meine Untersuchungsanlage skizzieren, um dann die drei Begriffe abzuhandeln.
Als erstes möchte ich mit dem Begriff "Wissenschaft" anfangen und dagegen den Begriff "Markt" stellen, hier wäre als Subunterscheidung anzuführen: Universität-Unternehmen sowie Disziplin/Unternehmensbereich, Team, etc. Zweitens kontrastiere ich den Begriff "Experiment" mit dem Begriff "Projekt" und drittens kontrastiere ich den Begriff "Gelehrter" mit dem Begriff des "Experten".
Ich vertrete hier nicht die These, dass es diese Form der Wissensproduktion nicht schon vorher gegeben hat oder dass in einem quantitativen Sinn diese Form der Wissensproduktion zunimmt. Ich verfüge nicht über die Übersicht für eine solche Aussage und weiss auch nicht, wie man eine solche Aussage treffen könnte.
Aber ich glaube, und das zeigt das Konferenzthema, dass unsere Begrifflichkeit (d.h. die Begrifflichkeit der kultuwissenschafltichen Wissenschaftsforschung) immer noch zu stark vom 19 Jh. infiziert ist und deshalb einen grossen und wichtigen Teil der heutigen Wissensproduktion nicht oder verzerrt erfasst.
Die Untersuchungsanlage:
Meine Dissertation ist eine oral history und eine Ethnographie von wissensbasierten Umweltdienstleistungsfirmen.
Auf das Dissertationsthema gelang ich primär über zweierlei Wege: Erstens ein langanhaltendes Interesse an der Unterscheidung Natur/Gesellschaft. Meine Vorherigen Untersuchungen beschäftigten sich mit der Identität Organtransplantierter , sowie der Praxis der Veterinärmedizin. Umweltforschung schien mir ein geeigneter Ort diese Unterscheidung weiter zu untersuchen.
Zweitens im Zusammenhang mit meiner Arbeit am Collegium Helveticum, einem Graduiertenkolleg, das Gesites- Sozial- und Naturwissenschafter vereint, sowie insbesondere mit Christian Pohl, einem Umweltwissenschafter, der sich für die Frage der Zusammenarbeit von Natur- und Sozialwissenschaftern interessiert. So entstand die Idee, Umweltdienstleistungsfirmen als Ort zu untersuchen, an dem die Frage der Zusammenarbeit von Natur- und Sozialwissenschaftern sich auf eine ganz spezifische Art stellt.
Die zentrale Frage meiner Forschung ist also die Übertragung der Wissenschaftsforschungsfrage: "Wie arbeiten Sozial- und Naturwissenschaften (oder allgemeiner: verschiedene Disziplinen) zusammen?" auf Firmen.
Dabei muss auf zwei Dinge hingewiesen werden:
Erstens: In Firmen gibt es keine Disziplinen, sondern nur Mitarbeiter mit einer akademischen Ausbildung, sowie andere Einheiten wie Abteilungen, Arbeitsfelder etc. Das heisst, die Differenzierung der Firmen entspricht einer anderen Logik als diejenige von Universitäten, was bedeutet, dass die Ausbildung der Mitarbeiter keinen Zusammenhang mit ihrer Plazierung in der Firma haben muss.
Zweitens: "Umwelt" ist deswegen ein geeignetes Untersuchungsgebiet, weil der Umweltbegriff in seinem spezifischen Gebrauch sich auf Komplexität stützt:
Umwelt, so wie sie in der Öffentlichkeit der Umweltdeinstleister verstanden wird, verweist darauf, dass komplexe Beziehungen zwischen Phänomenen vorliegen, die nicht mit einer reduktionistischen Methode angegangen werden können.
Dies führt direkt zum Problem: Wie soll denn eine Arbeit/Forschung organisiert sein, die mit einer solchen Komplexität umgehen soll?
Meine Studie basiert auf 25 Interviews mit VertreterInnen von Umweltdienstleistungsfirmen in der Schweiz , sowie ethnographischer Analysen von 4 verschiedenen Umweltdienstleistungsfirmen.
Im folgenden skizziere ich die drei Begriffspaare, an der Graduiertenkonferenz werde ich sie empirisch verdichten.
Der Markt
Die Dienstleistungsfirmen, die ich untersuche produzieren eine breite Palette von Produkten; ich gebe hier eine kurze Liste an Beispielen:
- Die Evaluation von UVP
- Die Erarbeitung von Nachhaltigkeitsindikatoren für Kantone und Gemeinden
- Nachhaltigkeitsratings für Ökofonds von Banken
- UVP für Gebäude, Einkaufszentren, Infrastrukturen
- Die "Modellmoderation" einer Holzwirtschaftsorganisation
- Die Beurteilung von LA 21 Prozessen
- Die Plausbilitätsanalyse der Einführung der CO2-Abgabe in der Schweiz
- Die Erfassung lokaler Biodiversität
- Die ökologische und wasserwirtschaftliche Sanierung von Flüssen
Diese Produkte werden auf einem Markt angeboten. Dieser Markt unterscheidet sich vom akademischen Markt insofern, als dass die Anbieter aus einer andern Sphäre als die Konsumenten kommen. Dies gilt in jedem Falle: Entweder werden die Dienstleistungen von der öffentlichen Hand, d. h. Ämtern von Bund, Kantonen oder Gemeinden gekauft, oder von andern Firmen. In beiden Fällen skizzieren die Auftraggeber einen Auftrag, den die Firmen zu erfüllen haben. Eine Ausnahme davon bilden Forschungen, die mit Geldern der staatlichen Wissenschaftsförderung durchgeführt werden; aber auch hier besteht eine Asymmetrie, denn hier ist das Publikum (und die Begutachter) zumeist universitäre Wissenschaft.
Die Tatsache, dass Aufträge erfüllt werden, führt zu einer andern Organisation der Firmen: Diese Gruppieren sich um Geschäfts- oder Tätigkeitsfelder, d.h. Organisationseinheiten, deren Name nicht auf ein Forschungsfeld verweist, sondern auf zumeist sehr breite Arbeitsfelder, wie "Gesellschaft", "Umwelt", "Sicherheit" oder "Verkehr". Innerhalb dieser Einheiten arbeiten nun nicht Mitarbeiter mit derselben Ausbildung oder Spezialisierung, sondern nur einem gemeinsamen Arbeitsgebiet, für das sie sich im Laufe ihrer Karriere spezialisiert haben.
Das Projekt
Die meisten Firmen bearbeiten nun aber die Projekte nicht innerhalb einer Organisationseinheit , sondern stellen ein Team zusammen, das einheitenübergreifend ist. Daraus entsteht firmenintern eine latente Spannung zwischen den Projekten und den Organisationseinheiten, denn letztere arbeiten unter Umständen auf eigene Rechnung und verstehen sich als Firma in der Firma.
Entscheidend im Gegensatz zur Vorstellung des Experiments, ist aber die zeitliche Abfolge der Projekte: Projekte haben keinen inhaltlichen Zusammenhang und erst Recht keinen, der auf einen "Fortschritt" hinweist, im Sinne davon, dass eine "disziplinenspezifische Systematik" der Erkenntnisgeneration ersichtlich wird. Das Wissen, das hier generiert wird, ist nicht neu in Relation zu einer Disziplin, sonder neu in Relation zum Wissen der Kunden, d.h. in den meisten Fällen der Verwaltung. Daraus entsteht dann auch ein breites Feld zu Polemik gegenüber der Wissenschaft, deren Wissen "nutzlos", "verspätet" etc . ist und ein ebenso breites Feld zu Disputen über die "Wissenschaftlichkeit" der Arbeiten (der Rahmen dazu, bietet die Tatsache, dass viele Projekte mit einem wissenschafltichen Beirat durchgeführt werden).
Der Experte
Der Habitus des Umweltdienstleisters entspricht so ungefähr ziemlich genau dem Gegenteil dessen, was man sich unter Gelehrten vorstellt. Der Jargon ist geprägt von betriebswirtschaftlichen Konzepten; unique selling proposition, cash-cow, Wissensmanagement etc. Akademische Wissenschaft wird als eine Art Luxusgüterindustrie angesehen, deren Dasein beklagt wird, gleichzeitig regt man sich aber darüber auf, dass diese selbst immer dienstleistungsnaher wird.
Die Überzeugungskraft des Umweltdienstleisters besteht gerade nicht in Zitatanhäufungen und wohlgeformten Sätzen, viel eher in der Reduktion aufs Notwendige und der oft handschriftlichen grafischen Darstellung von "Systemen" in Kästchen mit Pfeilen dazwischen. Im wesentlichen handelt es sich um eine Sprache der Grafik und der Auflistung, nicht um eine Sprache der Argumente und Logik, der guten Formulierungen aber auch nicht der Mathemati
Item Type: | Other |
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Uncontrolled Keywords: | graduiertenkonferenz, kulturwissenschaften |
Subjects: | Kulturwissenschaften, cultural studies > Graduiertenkonferenz: Wissenschaftskulturen - Experimentalkulturen - Gelehrtenkulturen |
Depositing User: | Caroline Gay |
Date Deposited: | 06 Dec 2020 12:32 |
Last Modified: | 06 Dec 2020 12:32 |
URI: | http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/2141 |