Pietzner, Katrin (2002) Experten der Lebenskunst in der römischen Gesellschaft. UNSPECIFIED. (Unpublished)
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Abstract
Im Gegensatz zur modernen Gesellschaft gab es in der römischen Kaiserzeit keine philosophischen Diskurse unabhängig von der Lebensart des Philosophen. Sie galten als Experten der ars vitae und spielten im 2. und 3. Jahrhundert als Ratgeber und Kritiker, Lehrer und Seelsorger eine besondere Rolle. Dabei profitierten sie von der Bedeutung, die Bildung in der römischen Gesellschaft besaß. Einerseits war diese Statussymbol einer gebildeten Oberschicht; Sie prägte das aristokratische Selbstverständnis und sicherte eine erstaunliche Kontinuität in den über Generationen hinweg tradierten Normen und sozialen Praktiken. Andererseits griffen zunehmend weitere Bevölkerungskreise auf gebildete Ausdrucksformen, Symbole und Attibute zurück und bestätigten so das hohe Ansehen, das die Paideia in der Gemeinschaft besaß. Obgleich das Bildungsideal von vielen getragen wurde, konnte es doch nur von wenigen verwirklicht werden. Diese Vermittler waren daher umso gefragter: neben den Philosophen waren dies vor allem Rhetoren oder Sophisten, die mit ihren kunstvoll gestalteten Auftritten zu Publikumsmagneten wurden. Die Kunst ihrer Sprache orientierte sich an den Vorbildern der klassischen Literatur. Die sich wiederholenden historischen und mythologischen Erzählungen oder literarischen Sujets wurden so zum etablierten Wissenskanon des Publikums. Darin erschöpften sich jedoch die Bedürfnisse nicht: Denn von wachsendem Interesse waren konkrete Lebenshilfen, Maßstäbe für rechtes Verhalten, lebenweltliche Orientierungen und damit ein ganz lebenspraktisch orientiertes Wissen. Dieses boten die Philosophen an. Sie selbst und ihre Angebote gewannen daher gerade im krisengeschüttelten 3. Jahrhundert an Bedeutung. Die veränderten Sinnzusammenhänge führten offenbar zu einer Neukonstituierung von Wissen.
Im Wettstreit um die überlegeneren Angebote konkurrierten die Philosophen nicht nur mit den Rhetoren oder ihren philosophischen 'Kollegen', sondern im Verlauf des 2. Jahrhunderts auch zunehmend mit christlichen Intellektuellen, die mit eigenen lebensweltlichen Konzepten auftraten und das Christentum als wahre Philosophie anboten. Sie versammelten wie ihre heidnischen Gegenspieler Schülerkreise um sich herum, sie arbeiteten mit den gleichen Methoden und fragten ebenso nach Gott und einer tugendhaften Lebensweise.
Es ist daher nicht überraschend, daß beide Seiten ihre Gewißheit um die überzeugende Lebensführung aus der Tradition bezogen. Für heidnische Philosophen war der jeweilige Begründer das klassische Vorbild. Für die Platoniker, die sich an der Wende zum 3. Jahrhundert als bestimmende philosophische Richtung durchsetzten, war dies Platon. Im Auslegen und Kommentieren seiner Texte bestand der vor allem interpetatorische Erkenntnisgewinn. Die Lehren der unumstößlichen Autorität galt es zu eruieren, um auf diese Weise nicht nur eigene Lehranschauungen zu gewinnen, sondern zugleich die Maßstäbe für die eigene Lebensführung zu erhalten. Christliche Philosophen wie Justin, Tatian, Athenagoras oder Clemens von Alexandrien suggerierten nicht nur eine eigene philosophische Tradition, die durch die heiligen Schriften autorisiert sei; sie begriffen die christliche Philosophie auch als eine allen anderen überlegene Denkweise und Lebensform. Erfahrungen vorangegangener philosophischer Studien waren für manchen nicht unnütz, sie schärften den Verstand oder brachten propädeutische Kenntnisse, legitime Wissensquelle jedoch war die Bibel. Auch ihr entnahm man mit Hilfe der Exegese die Regeln für die eigene Lebenspraxis.
Zum Einüben konnten sowohl heidnische wie christliche Philosophen auf psychagogische Übungen zurückgreifen; über Praktiken des Meditierens oder Memorierens strebten sie sich von Leidenschaften zu befreien und Seelenfrieden zu erlangen. Griechische Weisheitssprüche oder orientalische Offenbarungen ergänzten das Repertoire an Wissensquellen. Diese stellten auch die diversen kommunikativen Handlungszusammenhänge dar, in denen die Philosophen agierten. Der eigene Schülerkreis bildete häufig den engeren Rahmen, innerhalb dessen Gespräche, Vorträge und Diskussionen stattfanden. Die Vita des Neuplatonikers Plotin, der Mitte des 3. Jahrhunderts in Rom lehrte, bietet hierfür wohl die anschaulichste Quelle; die Einblicke in diesen Lehrbetrieb können zudem mit den Methoden des christlichen Philosophen Origenes verglichen werden, der bis zu jener Zeit erst in Alexandrien, dann im palästinensischen Caesarea unterrichtete. Sie zeigen unter anderem: der Lehrer führte bei der Auswahl und Deutung von Texten, er kommentierte die Ausführungen der Schüler, er ermunterte zu schriftlichen wie mündlichen Kontroversen, zum Austragen von Meinungsverschiedenheiten und blieb offen für gedankliche Abschweifungen, Probleme und Fragen, die er geduldig und ausführlich beantwortete - der Lehrer war demnach zwar nicht immer maßgebend dafür, welche Inhalte und Formen von Wissen vermittelt, aber welche durch ihn autorisiert wurden. Er selbst wurde zur Quelle, die dem menschlichen Zugriff mehr und mehr entrückt wurde. Vorbildwirkend war dabei nicht nur seine Art des sozialen Umgangs, sondern seine Lebensweise insgesamt. In dieser zeigten sich das Bestreben nach einem gottähnlichen Leben und der Einklang mit den eigenen Lehrmeinungen; daran maßen sich Attraktivität und Glaubwürdigkeit eines Philosophen. Seine ars vitae veranschaulichte über Jahre hinweg die Umsetzung lebensweltlicher Maximen.
Diese waren daher nicht nur für einen engeren Zirkel von Schülern und für den größeren Kreis von interessierten Zuhörern sichtbar, sondern wurden durchaus in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Kritik und Spott, aber auch Bewunderung und Lob bezeugen daher eine Form des Umgangs mit den philosophischen Ansprüchen. Daß die dahinterstehenden moralischen wie ethischen Wertvorstellungen von sozial heterogenen Kreisen angenommen wurden, verdeutlichen die philosophischen Titel und Attribute, mit denen man sich selbst umgab oder tugendhaft auftretende Personen auszeichnete.
Die Schule eines heidnischen Philosphen besuchten hingegen überwiegend gut situierte und wohlhabende, häufig noch jugendliche Männer der Oberschicht. Sie verband daher das Wissen um den elitären Verhaltenskodex, das sie dann entweder als spätere Philosophen oder auch Politiker oder Anwälte verwenden konnten. Ein Wandel wird hier erst mit der Gemeinschaft um Plotin sichtbar, in der nun auch Frauen eine - wenn auch nicht ganz eindeutige - Rolle spielten.
Ein geschlechtlich wie sozial heterogenes Publikum scheint hingegen für christliche Philosophen üblich gewesen zu sein. Damit werden Themen wie Handlungsnormen nicht mehr an eine gesellschaftliche Elite gebunden. Daß heißt auch, daß sich Vermittlungsmuster und Selbstverständnis christlicher Intellektueller änderten. Neben einem kostenlosen Unterricht zeigt sich dies in einer neuartigen sozialen Verantwortlichkeit; einer Fürsorgefunktion, für die es auf heidnischer Seite kein Äquivalent gibt. Das Wissen um die ideale Lebensform eines Philosophen wird somit um diesen Aspekt erweitert. Zur Weitergabe dieses Wissens dienten nun nicht nur das 'Vorleben', sondern auch traditionelle wie christengemeindliche Strukturen. Das Medium des Textes nahm hierbei einen besonderen Stellenwert ein. Mit Beginn des 3. Jahrhunderts sind auch erste christliche Bibliotheken greifbar. Der intensive Diskurs unter christlichen wie gnostischen Gelehrten sowie die öffentliche Demonstration philosophischer Tugenden zeigen dabei, daß die lebensbestimmenden Maximen auch verinnerlicht wurden. Deutlicher als ihre heidnischen Konkurrenten belegten Christen ihren angstlosen Umgang mit dem Tod in den Martyrien, ihre Furchtlosigkeit angesichts drohender Folter oder Verfolgungen. Daß diese Rollen aus heidnischer Sicht auch von sozial Deklassierten und Frauen ausgeführt wurden, mußte umso mehr empören. Hinzu kamen das selbstbewußte Auftreten und die permanente Kritik christlicher Wortführer an überlieferten Bildungsinstitutionen, die kein brauchbares Wissen vermittelten. Die Unerschrockenheit ihrer Kritik machte hierin nicht halt, sondern richtete sich zugleich an die Herrschenden. Damit nahmen sozial Inakzeptable gesellschaftliche Rollen wahr, die eigentlich den heidnischen Philosophen vorbehalten waren. Zugleich verschoben die christlichen Intellektuellen die Grenzen für eine vollendete Lebensweise und eröffneten so neue Handlungsspielräume und Denkformen. Ihre Autoriät und Ihr Wissen banden sie dabei zugleich an Gott, als dessen unmittelbare Mittler sie auftraten.
Im Wettstreit um die überlegeneren Lebensformen waren die heidnischen Philosophen herausgefordert; in den christlichen Protagonisten waren ihren Konkurrenten erwachsen, die eben nicht nur die traditionellen kulturellen Praktiken beherrschten, sondern diese auch neu zu nutzen wußten, bewußt alternativ deuteten und somit umwerteten. Die Polemik bestätigt, daß sich heidnische Gelehrte in Frage gestellt fühlten. Wollten sie ihre erziehende Funktion Gesellschaft stabilisieren, mußten sie sich mit der christlichen Denk- und Lebensweise auseinandersetzen und sie bekämpfen. Der Disput begann bereits in der Mitte des 2. Jahrhunderts und er gewann im Laufe der Zeit an Kontur. Um die eigene Überlegenheit zu begründen, sprach man dem Gegner nicht nur Originalität und Alter seiner Lehrmeinungen ab, sondern die philosphische Kompetenz überhaupt. Gerade deshalb wurde das Wissen diskreditiert, das eine christliche Lebenspraxis formte
Item Type: | Other |
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Uncontrolled Keywords: | graduiertenkonferenz, kulturwissenschaften |
Subjects: | Kulturwissenschaften, cultural studies > Graduiertenkonferenz: Wissenschaftskulturen - Experimentalkulturen - Gelehrtenkulturen |
Depositing User: | Caroline Gay |
Date Deposited: | 06 Dec 2020 12:33 |
Last Modified: | 06 Dec 2020 12:33 |
URI: | http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/2145 |