Kuttner, Heinz-Georg (2008) Zur Soziologie der Abtreibung. In: Dzeicko - Studium Interdyscyplinarne. KUL, 503 -530. ISBN 978-83-7363-703-0
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Abstract
Umfragen bestätigen, dass durch das vom Bundesverfassungsgericht nach der Wiedervereinigung 1993 gefällte Urteil zur Abtreibung sich in der jungen Generation in Deutschland das Bewusstsein vom Rechtsanspruch auf die Abtreibung herausgebildet hat. Zwar ist eine verpflichtende Beratung vorgeschrieben, aber die Letztverantwortung wird in dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Schwangeren zugesprochen. Manche Juristen sprechen deshalb zu Recht nicht vom „Beratungsschutzkonzept“, sondern vom „Letzverantwortungskonzept“. Die Befürworter des Beratungsschutzkonzeptes hofften darauf, dass die Zahl der Abtreibungen durch die Neuregelung des § 218 stark zurückgehen wird. Diese erhoffte Wirkung ist nicht eingetreten. Nach der offiziellen Statistik werden in Deutschland jährlich ca. 130.000 „Schwangerschaftsabbrüche“ registriert. Man muss nach Auffassung von Experten aber davon ausgehen, dass einerseits nicht alle Abtreibungen gemeldet werden und dass andererseits durch bewusst eingesetzte nidationshemmende Medikamente und durch Nebenwirkungen der Ovulationshemmer die Einnistung der Leibesfrucht oft verhindert wird. Viele Experten und die Vertreter der Lebensrechtsbewegungen gehen deshalb davon aus, dass in Deutschland ca. 1000 Kinder täglich abgetrieben werden.
Die feministische Bewegung hat mit dem Spruch „Mein Bauch gehört mir“ weltweit das Bewusstsein der heranwachsenden Mädchen gestärkt, die Abtreibung als ein Selbstbestimmungsrecht der Frau anzusehen. Der berühmte deutsche Strafrechtler Herbert Tröndle bezeichnet das in Deutschland praktizierte „Beratungsschutzkonzept“ als eine „Reglementierung einer Preisgab des Lebensschutzes Ungeborener“. Es dient also nicht dem Schutz des Lebens, sondern dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Frau. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 sprach noch eindeutig davon, dass der Staat die Pflicht habe, das Leben des Kindes gegen den Willen der Frau zu schützen und dass nur in begründeten Ausnahmefällen eine Abtreibung zulässig ist. Die erlaubten Ausnahmefälle waren allerdings dann das Einfallstor für die in Hunderttausende gehenden Abtreibungen. In mehr als 95% aller Fälle wurden die Abtreibungen mit dem Hinweis auf die seelische und soziale Lage der schwangeren Frau begründet. Nach der Wiedervereinigung kam es 1993 dann zu der bis heute gültigen Fristenregelung mit Beratungspflicht.
Der Vernebelung des Sachverhalts der Tötung eines ungeborenen Kindes dient die Bezeichnung der Abtreibung als „Schwangerschaftsabbruch“ Mit dem Wort Unterbrechung wird suggeriert, als könne die Schwangerschaft je nach Belieben fortgesetzt werden, was aber, wie jeder weiß, nicht der Fall ist. Da durch diese Wortwahl der innere Zusammenhang mit der Tötung eines Menschen verschleiert wird, sprach Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika „Evangelium vitae“ 1995 ohne Umschweife davon, dass Abtreibung als Mord zu qualifizieren sei. Dagegen rebellierte bis heute die öffentliche Meinung in Deutschland, weil Mord als gleichbedeutend mit einer höchst verwerflichen Handlung angesehen wird. Nach dem geltenden Strafrecht gilt eine Tötung dann als Mord, wenn die Tötungshandlung heimtückisch geschieht und wenn die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst ausgenutzt wird. Da der Embryo zur Tatzeit keinen gegen ihn gerichteten Angriff erwartet, ist die Tat im streng juristischen Sinn als Mord zu werten. Papst Johannes Paul II. hatte recht: Ziel und Zweck der Abtreibung ist die vorsätzlich Tötung eines absolut Unschuldigen.
Eine Eindämmung der legal vorgenommenen Abtreibungen in den westlichen Demokratien ist meines Erachtens nur dann möglich, wenn bei den heranwachsenden Jugendlichen wieder die Tugend der Keuschheit als ein hohes Gut für ihr eigenes Denken und Handeln vermittelt wird. Gelingt es einer Gesellschaft nicht die sexuellen Triebkräfte bei der heranwachsenden Generation moralisch durch die Einübung der Keuschheit zu disziplinieren, dann bleibt nur übrig, zu versuchen, die Heranwachsenden möglichst früh mit Verhütungspraktiken vertraut zu machen und ihnen im Fall einer ungewollten Schwangerschaft die Abtreibung anzubieten. Aber ein friedlicher Gesellschaft entsteht dadurch nicht.
Werner von Straten, der berühmte Dominikanerpater und unentwegte Kämpfer für den Frieden, schrieb deshalb kurz vor seinem Tod in diesem Zusammenhang zu Recht:
„Leute, die Mord am ungeborenen Leben befürworten, sind nicht glaubwürdig, wenn sie gegen Aufrüstung oder Atomkraftwerke demonstrieren. Sie bedrohen den Frieden mehr als das grauenhafte Arsenal der nuklearen Abschreckungswaffen. Sie zerstören den Frieden mit Gott.
Abstract of Dr. Kuttner’s Lecture „On Sociology of Abortion“
Opinion polls confirm that in today’s generation of young people in Germany the idea of having the right to abortion has established itself after the Federal Constitutional Court had passed its judgment on abortion in 1993. Obligytory counselling advice, it is true, has been prescribed, but in the Federal Constitutional Court’s decision the ultimate responsibility is given to the pregnant woman. Some jurists, therefore, rightly refrain from speaking of an „advisory concept“, but of a „concept of ultimate female responsibility“.
The supporters of the conception of advisory protection did hope that the number of abortions would considerably go down due to the revised penal law in its § 218. But this hoped-for effect did not come about. According to official statistical data in Germany some 130.000 cases of abortion („breaking off pregnancy“) are being registered. But in keeeping with the opinion of experts one must see that, on the one hand, not all cases of abortion are officially reported, and that, on the other hand, the nidation of the foetus is often prevented by deliberately using medication to inhibit the nidation. Many experts and the advocates of all right-to-life movements, therefore, take it for granted that in Germany about one thousand (1000) children are killed by abortion every day.
The feminist movement by its saying „my belly is mine“ has, on a world wide scale, encouraged the minds of adolescent girls to consider abortion to be the female right of self-determination. The famous German criminal law expert Herbert Tröndle describes the „protection concept by giving advice“ the way it is practised in Germany as the „regulation of the abandonment of the life protection of unborn children“. It, thus, does not serve to protect life, but to protect the self-determination of woman. The judgement passed by the Federal Constitutional Court in 1993 did in fact unequivocally still speak of the State’s duty to protect the life of the child against the will of the woman and that an abortion is only permitted in cases of wellfounded exceptions. Theses exceptional uses under allowance were, it is true, the opening door for hundreds of thousands of abortions. In more than 95% of all cases abortions were justified by referring to the mental and social condition of the pregnant woman. After the German reunification in 1993 the up to nowadays valid regulation of the latest point at which abortion is legally permitted together with obligatory counselling came about.
The description of abortion as an act to „break off pregnancy“ serves to obscure the fact that an unborn child is really killed. By means of the word „break off“ it is meant to suggest that any pregnancy can be continued at one’s own discretion, which, as everyone knows, is not true. It is through this way of speaking that the essential reference to the killing of a human being is actually covered up. So Pope John Paul II. in his encyclical „Evangelium vitae“ of 1995, without beating about the bush, did speak about abortion as to be qualified like murder. Up to nowadays the public opinion in Germany revolts against this, because murder is seen to be, identically, an act of utmost moral reprehension. According to the criminal law still valid any kind of killing is considered to be murder, if the act of killing is done insidiously and if the defencelessness and unsuspecting attitude of the victim are deliberately made use of. As the embryo at the time of an act of abortion does not expect an attack against himself, the act, in its strictly legal sense, is to be qualified as murder. Pope John Paul II. was right in saying: the end and aim of abortion is the premeditated killing of a person who is absolutely innocent.
The containment of legally practised abortion in Western democracies is in the opinion of Heinz-Georg Kuttner only possible, if the virtue of chastity as a high moral value for one’s own thinking and acting will again be taught to adolescent young people. If a society fails to keep under discipline the sexual impulse in the adolescent generation, morally, through the practising of chastity, the only thing then left is to try to make adolescents familiar with contraceptives as early as possible and, in case of unwanted pregnance, offer them abortion.
Item Type: | Book Section |
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Uncontrolled Keywords: | Soziologie, Abtreibung, Kind, Mutter, Würde |
Subjects: | Philosophie > Seminararbeiten, Diplom, Dissertationen, Arbeitspapiere > Ethik und Sozialphilosophie, Rechtsphilosophie Kulturwissenschaften, cultural studies > Interkulturelle Studien |
Depositing User: | neapnelmPe neapnelmPet neapnelmPet |
Date Deposited: | 06 Dec 2020 15:26 |
Last Modified: | 06 Dec 2020 15:26 |
URI: | http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/3333 |