Wimmer, Franz Martin, ed. (2004) Menschenrechte im Kulturvergleich. Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst, 59 (1-2). Institut für Wissenschaft und Kunst, Wien.
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Abstract
Dass Menschen Grundrechte haben, die zu respektieren
und zu garantieren sind, ist kein selbstverständlicher Gedanke. Ebenso ist nicht selbstverständlich, welche Rechte
dies sind. Kulturelle und religiöse Traditionen differieren
in dieser Frage, es gibt aber auch unabhängig davon
Entwicklungen in der Gegenwart, die es notwendig erscheinen
lassen, Menschenrechte im Kulturvergleich von verschiedenen Seiten her zu betrachten, wie das der IWK-Arbeitskreis zu Fragen der lnterkulturalität 2003/04 thematisiert hat. Dabei ist es wichtig, den Blick auch auf die Gegenwart mit Phänomenen wie der Globalisierung von Märkten, massiven Migrationen, der Entstehung von kulturell hybriden Megastädten und der Wirksamkeit fundamentatistischer
oder terroristischer ldeologien zu richten.
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Mathias Thaler behandelt in seinem Beitrag zwei Problembereiche. Erstens fragt er nach, worin sich Einwände
gegen die universelle Gültigkeit von Menschenrechten,
die auf einen Kulturrelativismus zurückgehen, von
anderen Einwänden unterscheiden. Es geht ihm also um
die so genannten „kulturellen“ Argumente. Zweitens fragt
er nach theoretischen Möglichkeiten, solchen Einwänden
zu begegnen und kommt zu der These, dass zwar die
Prämissen einer „kulturell sensiblen“ Kritik an Menschenrechtsideen durchaus richtig sind, dass aber Schlussfolgerungen daraus, die aufgrund einer „Fehleinschätzung der Kategorie Kultur“ gezogen werden, aus praktischen wie aus theoretischen Gründen nicht haitbar sind.
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Im Aufsatz von Benedikt Wallner ist die Ausgangsfrage,
inwiefern Schutzrechte für den Einzelnen, die der jeweilige
Staat zu garantieren hat, auch dann noch einzufordern
sind, wenn diese Staaten „gegenüber den wahren Machtzentren, den multinationalen Unternehmen, zunehmend
an Terrain verlieren.“ Kann ein Einzelner gegenüber
internationalen Konzernen seine (Menschen-) Rechte einklagen? Wallner führt anhand konkreter Fälle
aus, wie der „veränderten Bedrohung der Bürgerrechte
im 21. Jahrhundert“ durch die (Weiter-)Entwicklung von
Rechtsinstituten und Regelungstechnik, die „eine Fortexistenz durch Koexistenz ermöglicht“, begegnet werden
kann. Er schlägt vor, die Idee des „Polylogs“ (vgl. IWKTexte
Nr. 4) in diesem Zusammenhang weiterzuführen,
um ein „Weltrecht“ zu entwickeln und nicht „die Zivilisationen wie in der Steinzeit aufeinander prallen zu lassen“.
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Mit dem „Projekt Weltethos“, das vor allem durch den
Theotogen Hans Küng bekannt wurde, befasst sich Paulina
Prinz. Es geht dabei darum, auf der Grundlage von Werten und Normen, die alle großen Religionen gemeinsam haben, ein globales Menschheitsethos zu etablieren.
Die beiden wichtigsten Dokumente in diesem Zusammenhang sind die ,Erklärung zum Weltethos' des Parlaments der Weltreligionen und die ,Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten' des lnterAction Council, einer Gruppe von ehemaligen Regierungschefs unter der Leitung von Helmut Schmidt. Der Vorschlag einer ,Erklärung der Menschenpflichten' sollte 1999 von der UNO ein halbes Jahrhundert nach deren ,Erklärung der Menschenrechte'
offiziell verabschiedet werden, wozu es nicht gekommen ist. Dennoch sind die inhaltlichen Voraussetzungen und Konsequenzen beider Projekte bedeutsam
und zu hinterfragen.
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In ihrer Analyse von Begründungsversuchen der Universalität
von Menschenrechten nehmen Natalia Hartmann und Alexander Konas neben der UNO-Erklärung auch mehrere regionaie Deklarationen - wie die ,Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und Völker', die ,Kairoer Erklärung über Menschenrechte im Islam' u. a. - in den Blick. Sie gehen dabei davon aus, dass nach dem 11. September 2001 in Staaten „Grund- und Menschenrechte - ohne großen Protest seitens der betroffenen Menschen - eingeschränkt“ worden sind, die zuvor die universaie Geltung dieser Rechte stark betont hatten. „War das nur Rhetorik?“ lm Vergleich der Deklarationen und an Einzeifällen wird gezeigt, dass nicht ernsthaft von einer universellen Geltung gesprochen werden kann, dass vielmehr die reale Gefahr besteht, hinter eine zwar stets kompromisshafte, aber doch humane Entwicklung
zurückzufallen.
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Jameleddine Ben Abdeljelil thematisiert Toleranzkonzepte,
wie sie im islamisch-arabischen Raum entwickelt worden sind. Dabei geht er von dem bekannten Toleranzgebot aus, das der Koran gegenüber „Menschen des Buches“ (Juden, Christen und Sabäern) formuliert, bringt dann aber Entwicklungen in Erinnerung, die eine religiös-weltanschauliche Heterogenität und somit auch politisch-praktische Toleranz in islamischen Staaten für lange Epochen
belegen. Erst in jüngerer Zeit, bedingt durch den Widerstand
gegen Kolonialismus, sind „Symptome der Monokulturalisierung“ in islamischen „Nationalstaaten“ festzustellen, die wiederum „Toleranz“ bedingen. Im Rückgriff auch auf islamische Tradition wäre dem jedoch die Entwicklung einer „aktiven Interkulturalität“ vorzuziehen.
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Ein halb vergessenes, erst in der feministischen Forschung
wieder bekannt gemachtes Dokument der europäischen
Geistesgeschichte besprechen Viktoria Frysak und Daniela Kersic, nämlich die ,Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin' von Olympe de Gouges aus der Zeit der Französischen Revolution. Sie antwortet der berühmten
Erklärung „des droits de l'homme et du citoyen“, in der Frauen nicht nur dem Wortlaut nach nicht „gemeint sind“, sondern in einem Zustand spezifischer Rechtlosigkeit
verblieben. Wie bei den anderen Themen stellt sich auch hier immer noch die Frage nach einer tatsächlichen und konsequenten Allgemeingültigkeit.
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Franz Martin Wimmer
Item Type: | Book |
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Uncontrolled Keywords: | Menschenrechte, Kulturalität, Interkulturalität, Toleranz, Weltethos, iwk, IWK, IWK-Mitteilungen, iwk-Mitteilungen |
Subjects: | Philosophie > Philosophische Disziplinen > Allgemeine Ethik Philosophie > Philosophische Disziplinen > Gesellschaftsphilosophie, politische Philosophie, Rechtsphilosophi Kulturwissenschaften, cultural studies > Interkulturelle Studien Philosophie > Philosophische Disziplinen > Interkulturelle Philosophie Philosophie > Philosophische Journale, Kongresse, Vereinigungen > Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst |
Depositing User: | Barbara Zimmermann |
Date Deposited: | 06 Dec 2020 15:53 |
Last Modified: | 06 Dec 2020 15:53 |
URI: | http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/3517 |