Der Text brauchte einst einmal Platz, Raum, eine Ausdehnung (ohne sich seiner Koerperlichwerdung stellen zu muessen - waehrend heute angesichts des immateriellen, elektronischen Daten/ In-FORM/ Informations-Textes immer haeufiger ueber den Text-Koerper, seine Geburt,... zu lesen ist!)
Der koerperliche, materielle Text war niedergeschriebener Text.
- différance/Verraeumlichung (Derrida)
Mittlerweile hat der Text sich zurueckgezogen in diverse Datennetze und digitale Speichereinheien: IMMATERIELL.
Der Text brauchte einst einmal Zeit, Tempo, Verzoegerung: zur Reifung, zur Entstehung, zur drucktechnischen Herstellung, zur Rezeption, zur Wahrnehmung, zum Verfolgen der textuellen, materiellen Linie.
- différance/Temporisation (Derrida)
Mittlerweile hat der Text sich beschleunigt und verlangsamt, er ist potentiell ueberall gleichzeitig (abrufbar) und gleichzeitig doch ohne jede Eigen-Geschwindigkeit; und angewiesen auf seinen Manipulator, Anwender, Gebrauch: ZEITLOS.
Die Unterscheidung zwischen Text und Context ist, so scheint es, hinfaellig geworden. Es gibt kein TEXT-Außen!? Text und Context sind nicht voneinander abtrennbar, unterscheidbar. So wie der Context in der Aesthetik-Diskussion zur Kunst-Bestimmung notwendig ist: anderer Context - andere/keine Kunst!
Woher kommt ueberhaupt ein (jeder) Text? Wie kommt er ... zustande? Unter welchen Umstaenden kann er generiert werden? Oder spaeter dann (im nachhinein erst) zum Text gemacht, erhoben, ernannt werden? Oder ist er immer schon von vornherein als solcher gedacht und konzipiert?
- Fluechtiges braucht feste FORM?
"Gibt es einen strengen und wissenschaftlichen Begriff des Kontextes? Birgt nicht die Idee des Kontextes, hinter einer gewissen Verwirrung, sehr bestimmte philosophische Voraussetzungen in sich? Ich moechte (...) zeigen, warum ein Kontext nie absolut bestimmbar ist oder vielmehr inwiefern seine Bestimmung niemals gesichert oder gesaettigt ist. Diese strukturelle Ungesaettigtheit haette zum doppelten Effekt:
1. Die theoretische Unzulaenglichkeit des gaengigen Begriffs von (sprachlichem oder nichtsprachlichem) Kontext, wie er in zahlreichen Forschungsgebieten ueblich ist, samt allen Begriffen, mit denen er in systematische Verbindung gebracht wird, deutlich zu machen;
2. eine gewisse Verallgemeinerung und Verschiebung des Schriftbegriffs noetig zu machen. Dieser waere nicht mehr unter der Kategorie von Kommunikation zu erfassen, zumindest wenn man sie im beschraenkten Sinne als Uebermittlung von Sinn versteht." (Derrida, SEK, 292f.)
"Gleichzeitig enthaelt ein schriftliches Zeichen die Kraft eines Bruches mit seinem Kontext, das heißt mit der Gesamtheit von Anwesenheiten, die das Moment seiner Einschreibung organisieren. (...) Zu diesem vorgeblichen Kontext gehoeren eine gewisse 'Gegenwart' der Einschreibung, die Anwesenheit des Schreibers bei dem, was er geschrieben hat, die ganze Umgebung und der Horizont seiner Erfahrung und vor allem die Intention, das Meinen, das in einem gegebenen Augenblick seine Einschreibung beseelt.(...) Was nun den semiotischen und internen Kontext betrifft, so ist die Kraft des Bruches keineswegs geringer: aufgrund seiner wesentlichen Iterierbarkeit kann man ein schriftliches Syntagma aus der Verkettung, in der es gegeben oder eingefaßt ist, immer herausloesen, ohne daß ihm dabei alle Moeglichkeiten des Funktionierens, wenn nicht eben alle Moeglichkeiten von 'Kommunikation', verlorengehen. Man kann ihm eventuell andere zuerkennen, indem man es in andere Ketten einschreibt oder ihnen aufpfropft. Kein Kontext kann es einschließen. (...) Diese Kraft des Bruches hat ihren Grund in der Verraeumlichung, die das schriftliche Zeichen konstituiert: in der Verraeumlichung, die es von den anderen Elementen der internen kontextuellen Kette trennt" (Derrida, SEK, 300)
"Vor allem verbietet diese wesentliche Abwesenheit der Intention in der Aktualitaet der Aeußerung, diese strukturelle Unbewußtheit, wenn Sie so wollen, jede Saettigung des Kontextes. Damit sich ein Kontext in dem von Austin geforderten Sinne erschoepfend bestimmen laeßt, ist es zumindest notwendig, daß die bewußte Intention sich selbst und den anderen vollkommen gegenwaertig und wirklich transparent sei, da sie ein bestimmender Mittelpunkt des Kontextes ist. Der Begriff oder die Forderung des "Kontextes" scheint also an derselben theoretischen und selbstsuechtigen Ungewißheit zu leiden wie der Begriff des "Gewoehnlichen", an denselben metaphysischen Urspruengen: dem ethischen und teleologischen Diskurs des Bewußtseins. (Derrida, SEK, 310f.)
"Das Wesentliche des Unterschieds der Bezeichnung ist hier nicht mehr die Bezugnahme weder auf ein identisch Bedeutetes noch auf die Bestimmtheit einer kommunikativen Kompetenz, sondern die iterative Erzeugung einer Verweisung auf Andersheit, auf etwas, das abwesend ist, das fehlt, das unerfuellt bleibt oder nicht ankommt, ueber die Raender des Kontextes hinausragt und neue Fluchtlinien entwirft. In diesem Sinne redet Derrida einer doppelten Dekonstruktion von Referenz und Kontext das Wort." (Wetzel, in Nagl, 210)
"Die Paradoxie dieser doppelten Markierung laeßt beide Zugangsweisen gleichermaßen zu: von der Zufaelligkeit her, die jeden Kontext als kontingent gegenueber seiner internen Struktur begreift, und von der Kalkulierbarkeit her, die den vielfaeltigen Bezug auf die Vielfaeltigkeit der Elemente berechenbar macht. Es bleibt aber immer ein Moment von Unbestimmtheit, die Konstellation des Kontextes ist gleichsam determiniert durch extreme Ueberdeterminiertheit. Jeder kontextualisierende Ausschnitt, jede begriffliche Rahmenbestimmung oder Grenzziehung zwischen innen und außen stoeßt solchermaßen an das Ueberabzaehlbare, das Unentscheidbare, das Unberechenbare. (ebd., 215)
"Die Dekonstruktion, sagt er, sei keine allgemeine Methode. (...)
"Ich glaube, daß die Dekonstruktion, die Dekonstruktionen, immer eine große Aufmerksamkeit fuer den Kontext voraussetzen, fuer alle Kontexte, fuer die geschichtlichen, wissenschaftlichen, soziologischen usw. Entsprechend den Kontexten kann man dann die Regeln der Dekonstruktion gewinnen, relative Regeln, die eine relative Allgemeinheit haben, die man aber bis zu einem gewissen Punkt benutzen, uebersetzen und lehren kann. (...) Jeder Text, das heißt jeder Kontext, wenn Sie so wollen, erfordert eine idiomatische, dekonstruktive Geste, so idiomatisch wie moeglich."
[Anm. Engelmann:](Das Zitat stammt aus einem Gespraech, das ich mit J. Derrida fuer eine Rundfunksendung gefuehrt habe. Es ist veroeffentlicht in: Peter Engelmann, J. Derridas Randgaenge der Philosophie, in: Jeff Bernhard (Hg.), Semiotica Austriaca, Wien 1987, 105ff.) (...) Als Grenze der Verallgemeinerbarkeit von Regeln der Dekonstruktion erscheint hier also die Existenz einer Vielzahl von Sprachen" (Engelmann, 24f.)
Mythos Bildschirm: siehe MATRIX!
"Grundlegend ist fuer diese Videokultur die Existenz eines Bildschirms, nicht aber notgedrungen die eines Blicks. Die Wahrnehmung eines menschlichen Blickes ist vom taktilen Ablesen eines Bildschirms voellig verschieden. Bei letzterem handelt es sich um ein digitales Abtasten, wobei das Auge sich wie eine Hand an einer unendlichen, gebrochenen Linie entlangtastet. Die Beziehung zu einem Gespraechspartner bei der Telekommunikation ist dieselbe wie die zum Wissen bei der Datenverarbeitung: taktil und tastend. (...)
Wir naehern uns immer mehr der Oberflaeche des Bildschirms, unsere Augen sind im Bild gleichsam verstreut. Wir halten nicht mehr die Distanz des Zuschauers zur Buehne, die Konventionen der Szene sind vergangen. Und wenn wir so leicht in diese Art imaginaeres Koma des Bildschirms verfallen, so liegt es daran, daß der Bildschirm eine unendliche Leere erzeugt, die auszufuellen wir beansprucht sind: Proxemik der Bilder, Promiskuitaet der Bilder, taktile Pornographie der Bilder. Und doch ist das Bild, das auf dem Bildschirm erscheint, paradoxerweise immer Lichtjahre entfernt, es ist immer ein Tele-Bild. (...)
Der Bildschirm aber ist virtuell, also unerreichbar, weswegen er nur jene abstrakte, jene unerbittlich abstrake Form des Austausches zulaeßt, welche die Kommunikation ist." (Baudrillard, in Aisthesis, 257f.)
"Der Andere als sexueller oder kognitiver Partner ist nie wirklich gemeint, als ob es ein Durchschreiten des Bildschirms geben moechte, wie das Durchschreiten eines Spiegels. Vielmehr wird der Bildschirm selber gezielt Moment der Interface. (...) Dies ist die reine Form der Kommunikation, die nur die Promiskuitaet des Bildschirms und den elektronischen Text als Filigran des Lebens kennt, wo wir uns in einer neuen Hoehle des Platon wiederfinden und nur noch die Schatten der fleischlichen Lust an uns vorbeiziehen sehen. (...) Einst lebten wir im Imaginaeren des Spiegels, der Entzweiung und der Ichszene, der Andersheit und der Entfremdung. Heute leben wir im Imaginaeren des Bildschirms, des Interface und der Vervielfaeltigung, der Kommutation und Vernetzung. Alle unsere Maschinen sind Bildschirme, wir selbst sind Bildschirme geworden und das Verhaeltnis der Menschen zueinander ist das von Bildschirmen geworden. (ebd., 263)
"Wir traeumen von Reisen durch das Weltall. Ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. Nach innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgens ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und die Zukunft. / Novalis" (hier nach: Cyberspace, 5)
"Keine Frage ist, daß das 'Sampeln' zu einer Revision des Copy Rights fuehren wird. Denn wer ist der Autor eines gesampelten Produkts? Derjenige, dem die Stimme 'gehoert', derjenige, dem der Computer gehoert, oder gar der Computer selbst? Die Revision des Copy Rights, das so eng mit der entstehung der Literaturgesellschaft zusammenhaengt, ist ein Indiz fuer die Tatsache, daß sich die (audio-)visuelle Fiktion nicht laenger verdraengen laeßt, sondern zur Realisierung einer neuen Wirklichkeit draengt, einer "Nebenwelt" im Sinne Lyotards." (Bartels, in Bohn, 253)
"Jacques Derrida empfiehlt als Alternative die Verwandlung der Geisteswissenschaften in Geisterwissenschaften. Denn mit Geistern haben es die Geisteswissenschaftler zu tun, sofern sie sich als Medienwissenschaftler verstehen:
"Das Kino ist eine Kunst der Geisterbeschwoerung. (...) Ich glaube, daß das Kino und die Psychoanalyse zusammen die Geisterwissenschaften ausmachen. (...) Ich glaube nicht, daß die heutige Entwicklung der Technologie und der Telekommunikation den Raum der Geister einengen. (...) Ich glaube daß die Zukunft den Geistern gehoert und daß die moderne Technologie des Kinos, der Telekommunikation die Macht der Geister entfesselt und ihre Rueckkehr bewirkt".Diese Aeußerung Derridas aus Ken McMullers Film "Geistertanz" klingt, bei allem Witz, wie ein Bekenntnis zur visuellen Fiktion, und, sofern Derrida tatsaechlich an Geister und nicht an aufklaererische Geistergeschichten denkt, wie eine Absage an den Mythos der Bibliothek, des Buches, der alphabetischen Schrift, der literarischen Fiktion. Derrida vollzoege damit die Wende, die von der franzoesichen Phaenomenologie der sechziger Jahre eingeleitet wurde. Diese Wende laeßt sich als "Dezentrierung" des Subjekts vom Sehen her beschreiben. Die Phaenomenologie stellt nicht mehr das menschliche Auge allein ins Zentrum der Wahrnehmung, sondern auch das Auge der Kamera." (ebd., 254)
siehe DANBOLT! (Umfeld, Entstehung, Bedingungen,...)
siehe HYPER-LITERATUR! (elektronischer Text; Kafka...)
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