Kapitel 2

OFFENE SPIELRÄUME

Das experimentelle und alternative Theater des 20. Jahrhunderts fordert einen Bruch mit den Theatertraditionen in Bau, Textwahl und Aufführungspraxis. Weil die dramatische Handlung in den traditionellen Bühnen "zum Sklaven des Bühnenrahmens und des prospektivischen Blickwinkels gemacht wird", muß jene Art von Bühnenbau aufgehoben werden, schreibt Enrico Prampolini 1924 in Die futuristische Bühnenatmosphäre. Und in den 60er Jahren beginnen die Künstler des "freien Theaters" aus den Theaterhäusern herauszugehen, neue Schauplätze zu suchen und das Publikum verstärkt in das Geschehen einzubeziehen.

Die neugefundenen Orte sind weit gestreut, je nach Inszenierungskonzept werden sowohl ehemalige Kinos und diverse Hallen, aber auch Straßenecken zu einem Platz für Theater umgestaltet. Im Sinne eines offenen Spielraums ist in den 90er Jahren ein neuer Raum dazugekommen: Der elektronische Raum, in den sich Telekommunikationskünstlern schon vor geraumer Zeit begeben haben, wird nun auch von Theaterschaffenden besiedelt.

Der verwendete Bühnenraum hat im Internet, wie auch in der realen Theaterwelt, unzählige Variationsmöglichkeiten. Abgesehen von der Entwicklung eigener, speziell für die Aufführung passender Räume, können auch bereits bestehenden Räume genutzt werden. Solche bestehenden Räume sind jene, die von den online - Treffpunkten gebildet werden. So ist der Bühnenbau in bereits bestehende Räumen, wie sie IRC - Channels oder MOOs zu Verfügung stellen, sehr populär. Das Theatron, der Raum zum Schauen, vereint dort Spieler, Rolle und Zuschauer zu einer allen gemeinsamen Zeit. Das ist mittels Internetleitungen von geographischen Bedingungen unabhängig, und so können sich die Zuschauer und Darsteller auch an weit voneinander entfernten Orten befinden

Diesen Räumen gemeinsam ist, daß sie keine Materie mehr zu Verfügung haben, die den Bühnenraum bilden würde. Anhand von vier Beispielen möchte ich hier zunächst beschreiben, wie rein textbasiert Bühnenbilder gemalt und Theaterräume geschaffen werden können. Diese neuen Plätze malen mit Worten Bilder. Die Verwendung von einem MOO als Bühne eröffnet unzählige Variationsmöglichkeiten im Theaterbau und der Einbeziehung des Publikums. Das kann die notwendige aktive Teilnahme der Zuschauer am Entstehen des Stückes, wie in Rick Sacks MetaMOOphosis, oder die Improvisation der Schauspieler mit den Zuschauern, wie sie Steve Schrum in seinem NetSeduction. An Interactive Theatrical Production forcierte, sein. Es wurde aber auch bereits die Abbildung eines hauptsächlich passiven Zuschauervorgangs im MOO in Cat Heberts Aufführung von Chat-Theater demonstriert.

Virtuelle Räume werden auch zur Erweiterung materieller, zum Teil traditioneller Bühnen genutzt. Diese Experimente finden oft unter Einsatz der Übertragung von Video- und Audiodaten, wie zum Beispiel mittels CUSeeme Software, statt, die so auch traditionelle Aufführungen über Video und Audio in den virtuellen Raum sendet, um sie einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen. Diese Projekte möchte ich jedoch erst im nachfolgenden Kapitel anhand der Diskussion des virtuellen Schauspielers beschreiben.

THEATER IM IRC

THEATER IM MOO

©1997 Mohnstrudel. vor