Als ein von allen Seiten begrenzter Raumteil mit drei Ausdehnungen (Dimensionen) wird der Körper in der Geometrie beschrieben, auch die Mathematik und die Physik kennen den Begriff des Körpers. Die Philosophie definiert Körper als Gegensatz zum Geist. Körperbewußtsein und die Trennung von Geist und Körper ist etwas das die Menschheit auszeichnet.
Spätestens seit der Hellenistischen Zeit und der Entstehung der Philosophie ist die Trennung zwischen Geist und Körper ausformuliert. René Descartes beschreibt den Menschen als dualistisches Wesen aus Körper und Geist, La Mettrie sieht in der Materie den dominierenden Faktor. In dieser Sicht der Spaltung dominiert der Körper also über die Seele. Existent ist das Wissen und das Gefühl um die Trennung ja schon seit dem Homo sapiens und hat seitdem sowohl Freude als auch Leid zu Folge. Der Stellenwert des Körpers ist hoch, da der Mensch ja nicht genau weiß, was passiert, wenn man ihn verliert. Man ist sich bewußt, daß man auf den Körper extrem achten muß, um ihn nicht zu zerstören:
Although human biochemistry is still inadequately understood, the human system can be compared to an extremely intricate, delicately lubricated mechanism. All experience of other, similar kinds of mechanism - industrial, technological and scientific - shows that they can be damaged by sudden shocks, and the dietary changes of the twentieth century have (in general terms) been very sudden indeed.
Der Mensch versucht, sorgfältig mit seinem Körper umzugehen. Jedoch besonders an gegenwärtigen Entwicklung kann man sehen, daß das nicht immer leicht fällt. Durch fehlendes Körperbewußtsein sind beispielsweise Eßstörungen und Störungen im Sexualverhalten heutzutage keine Seltenheit mehr. Moralvorschriften und Vorgaben der Mode fördern und verstärken diese Irritationen noch :
The Victorian resurrection of courtly love was largely responsible for transforming middle-class ladies into sweet, untouchable guardians of morality, whose distaste for sex led to an explosive increase in prostitution, an epidemic spread of venereal disease, and a morbid taste for masochism.
Der Körper zeigt eine Eigenständigkeit und eine Unkontrollierbarkeit, indem er seine Gesetze, scheinbar vom Geist unbeeinflußbar, nach Außen trägt. Lust verlangt nach Befriedigung und unterwirft sich nicht gerne anderen Gesetzen als den Biologischen. Der Kampf des Menschen mit seinem Körper in der heutigen Zeit wird deutlich an den Ausflüchten und Ersatzbefriedigungen, die er sich sucht, wie Drogen, Medikamenten oder Alkohol, übertriebene sportliche Betätigung, Arbeit und vieles mehr.
Ende des neunzehnten Jahrhunderts führte eine beginnende "Übersättigung" zur signifikanten Destabilisierung einer Ordnung, eingebettet in die beginnende Industrialisierung. Es entstanden neue Krankheiten: Verlangen und Konsum, Impuls und Wille.
Zu den Problemen, die der eigene Körper mit sich bringt und die durch die Verhaltensregeln der Gesellschaft noch verstärkt werden, kommen, wie oben erwähnt, auch noch die des Schönheits- und Funktionsideal. Einem Körper soll das Äußerste abverlangt werden und er soll einer vordefinierten Schönheit so weit wie möglich entsprechen.
Im Zuge dieser historischen Mechanisierung [des 19. Jahrhunderts, Anm. d. Autorin] ändert sich auch unser Begriff vom Körper. Heute tendieren wir dazu Schönheit als System zu sehen, das sich durch die kleinstmögliche, von außen veränderbare biologische Einheit definiert.
Der Körper im 20. Jahrhundert ist also Reflexionen, Theorien und Idealen unterworfen, die versuchen, ihn bis ans Äußerste auszutesten und zu kategorisieren. Auch die Ansichten und Empfindungen für oder gegen ihn ändern sich, ständig wird nach neuen Lösungen zum Verständnis des Körpers und seiner Vorgänge gesucht. Jene Gesetze und Kategorien jedoch lassen, manchmal eine um so größere Unsicherheit zurück.
Am Theater ist der Körper das Material des Schauspielers. Ein Mensch, der auf der Bühne steht, bringt seinen Geist und seinen Körper in die Produktion ein. Er hat zu wissen, wie er mit diesem seinem Material umzugehen hat. Die Aufmerksamkeit, die auf den Körper der Schauspielers gelenkt ist, kann sich auf unzählige Arten äußern, abhängig von der Sparte des Theaters oder ganz allgemein gesprochen, abhängig von der Inszenierungsmethode. Ein Tänzer beispielsweise trainiert seinen Körper gesondert. Von ihm verlangen er und der Choreograph eigene, anderen Menschen vielleicht nicht mögliche Dinge. Ein Opernsänger wiederum achtet seinerseits auf ganz bestimmte Körperteile und -funktionen, die an anderen Körperstellen liegen, als die Schätze eines Tänzers.
Im Laufe einer Inszenierung wird traditionellerweise zwischen Regisseur und Darsteller erarbeitet, was durch Text und Körpersprache erzählt werden soll. Die Präsenz des Körpers des Schauspielers auf der Bühne allein hat zur Folge, daß sein Körper durch den Text oder durch seine Emotion zum Zuseher spricht. Die Geschichte einer Tanztheateraufführung beispielsweise wird, neben der Information, die durch Bühnenbild, Licht und Musik übertragen wird, hauptsächlich über die Sprache der Bewegungen erzählt.
Die Techniken der Körpersprache arbeiten unter anderem auch in dem Wissen um Vereinbarungen, die mit dem Publikum getroffen wurden. Körpersprache ist ein starkes Ausdrucksmittel, das andererseits aber auch oft zu Mißverständnissen führen kann, denn gerade in der Körpersprache gibt es Konventionen, die auch kulturabhängig differieren können.
Nicht zu vergessen ist aber, daß auch der Zuschauer notwendigerweise seinen Körper in den Theaterraum mitbringt. Auch er hat mit den Funktionen und Verlangen seiner Körperlichkeit während einer Theateraufführung umzugehen. Die Grenzen, die der menschliche Körper setzt, können in der Konzeption einer Inszenierung nicht außer acht gelassen werden. Eine Theateraufführung kann zum Beispiel nicht 24 Stunden durchgehend dauern. Publikum wie auch Darsteller müssen essen, schlafen und ausscheiden - das verlangt ihr Körper.
Mit dem Puppentheater hat sich eine Form des Theaters entwickelt, die eine der körperlichen Komponenten ersetzt. Dort ist der Mensch nicht auf der Bühne sichtbar eingesetzt. Er ist hinter den Fäden der Puppe verborgen. Deswegen ist der Mensch, der Puppenspieler, aber nicht weniger notwendig für die Aufführung. Er ist aber etwas veränderten Gesetzen unterworfen und bedient sich anderer Ausdrucksformen.
Das Puppenspiel ist schon lange Zeit eine Form der kulturellen Kommunikation, als Kunst hat es sich erst im 20. Jahrhundert durchgesetzt. Im Puppenspiel wird mit totem Material scheinbar Leben erzeugt. Die Kommunikation zwischen Spieler, Puppe und Zuschauer erfolgt in einem Dreieck, bzw. in einem Kreis. Der Spieler reagiert auf die Puppe und improvisiert in einer Wechselwirkung mit dem Zuschauer, der wiederum auf die Puppe reagiert. Das Puppentheater schafft seine eigene Welt: alles in ihm ist aus einem Stoff gemacht, sowohl Puppe als auch Dekoration.
Es gibt verschiedene Theorien die sich nun besonders seit der deutschen Romantik damit beschäftigen, mit dem Bühnen- und Theaterelement Mensch in einer veränderten Weise umzugehen. Die Theorien vom "künstlichen Menschen", von der Maschine, tauchen auf. Kleist formuliert 1810 in Über das Marionettentheater seine Theorie über den künstlichen Körper und dessen Ästhetik auf der Bühne. Er beschreibt, daß der Mensch durch seinen Körper die natürliche Unschuld und Anmut verloren hat. Und Craig und Meyerhold entwickeln, zu Beginn unseres Jahrhunderts, ihre Theorien über Der Schauspieler und die Übermarionette (Craig) und die Schauspieltechnik der Biomechanik (Meyerhold).
Es würde hier zu weit gehen, die verschiedenen Ansätze im Umgang mit dem Bühnenmaterial Mensch auszuführen. Gesagt sei nur so viel, daß besonders in der neueren Zeit eine Veränderung im Verständnis des Menschen auf der Bühne stattgefunden hat. Diese Entwicklung hat sich in verschiedensten Ansatzpunkten geäußert. Von einer Seite wurde eine Nur-Maschine auf der Bühne gefordert, eine Form des Marionetten-, Puppen- oder Maschinentheaters also. Andere wiederum versuchten aus dem natürlichen menschlichen Körper artifizielle Aspekte herauszuholen, um eine extreme Stilisierung zu erreichen - um nur wenige Beispiele zu nennen.
Das Theater der virtuellen Körper ist sowohl bei Theaterprojekten im multimedialen Raum als auch bei Theaterprojekten im textbasierten Raum zu sehen. Eine Möglichkeit, eine virtuelle Figur ins Geschehen zu integrieren, zeigt The Renaissance Man von J. Matthew Saunders. Diese Virtualität wird über eine bildliche Darstellung erreicht. Bewegte Bilder zeigen einen angreifbar nicht mehr vorhandenen Körper, Bilder, die Kopien der Wirklichkeit sind. In der Konzeption der Videoübertragung von Theateraufführungen sind diese Bilder zwar den traditionell bekannten Bildern ähnlicher, dennoch, oder gerade deswegen, fällt die Plastizität weg.
Das Körperempfinden des 20. Jahrhunderts bewegt sich immer mehr außerhalb des Angreifbaren, es beginnt sich neben der Materie auszuformulieren. Dieses Verständnis hat sich auch besonders im Entstehen der umfassenden Nutzung von elektronischen Kommunikationsmedien entwickelt. Der Körper wird dort wird mit dem populären Eigenschaftsworten virtuell oder dem Präfix cyber umschrieben, und findet nun auch bereits in der neuen Form des Theater Verwendung, die in der neuen Konnotation ausgedrückt virtuelles Theater im Cyberspace heißen muß.
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