Aufklärung am Ende der Moderne

Capurro, Rafael (1991) Aufklärung am Ende der Moderne. pp. 129-138.

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Abstract

Als Kant seine berühmte Charakterisierung der Aufklärung als den "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" aufstellte, brachte er zugleich jene Bedingung zum Ausdruck, wodurch der Mut sich des eigenen Verstandes zu bedienen erst zur Tat voranschreiten kann, dann und nur dann, wenn die Freiheit "von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen" gewährleistet ist (Kant 1975, Bd. 9, 55). Was heißt "öffentlicher Gebrauch"? Nicht, wie man vielleicht heute meinen könnte, die Möglichkeit sich mündlich vor einem Auditorium zu äußern, sondern gemeint ist damit jener Gebrauch der eigenen Vernunft, "den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Lesewelt macht." (a.a.O.) Das Gegenteil davon, nämlich der "Privatgebrauch", ist das, was wir wiederum "öffentlich" zu nennen pflegen, nämlich die Äußerungen, die etwa dieser Gelehrte im Rahmen eines "ihm anvertrauten bürgerlichen Posten, oder Amte, von seiner Vernunft machen darf." (a.a.O.) Im erste Fall handelt es sich um die Freiheit zu "räsonnieren" und zwar "durch Schriften", indem man sich nicht vom politischen oder geistlichen Amte eingeschränkt (als Bürger oder Geistlicher) weiß, sondern eben als Gelehrter, als Glied der "Weltbürgergesellschaft", begreift und die Möglichkeit hat, sich "öffentlich, d.h. durch Schriften, über das Fehlerhafte der dermaligen Einrichtung seine Anmerkungen zu machen" (a.a.O. 58)

Kant verneinte damals die Frage, ob die Menschen in einem "aufgeklärten Zeitalter" lebten, er sah aber Anzeichen dafür, dass der Beginn eines "Zeitalters der Aufklärung", also der freien, öffentlichen, schriftlichen, kritisch-gelehrten Meinungen seinen Ausgang genommen hatte.

Und heute? Ist nicht dieser Traum der Aufklärung zumindest in den "westlichen Demokratien" (und allmählich, aufgrund der sich durch die "Perestroika" anbahnende Liberalisierung - auch im Osten) zum großen Teil Wirklichkeit geworden? Und ist die Realisierung dieses Traums von "Öffentlichkeit" im Kantischen Sinne zunächst durch die Gutenberg-Technik, zuletzt aber, in der Gestalt der Informationstechnologie in einem früher kaum vorstellbaren Grad von Universalität "möglich" geworden? Läßt sich die Informationstechnologie so, also im Sinne einer gesteigerten Form von Aufklärung durch am Bildschirm flimmernden Mitteilungen deuten? Oder sind vielleicht die Bildschirme die falschen Propheten unseres Jahrhunderts, indem sie den Menschen (in Ost und West, Nord und Süd) den Anschein im "Zeitalter der Aufklärung" zu leben geben, während sie in Wahrheit Kritik und Pluralität ersticken, ja die Freiheit der Kritik unter der Herrschaft nicht mehr (bzw. nicht nur) des Fürsten oder des Geistlichen, sondern eben der Maschine stellen, jenem Menschen, der, wie Kant am Schluß seiner Abhandlung schreibt, "nun mehr als Maschine ist"?

Item Type: Article
Uncontrolled Keywords: Aufklärung, Medienphilosophie, Vattimo
Subjects: Philosophie > Philosophische Disziplinen > Medienphilosophie, Theorie der Virtualität, Cyberphilosophie
Depositing User: sandra subito
Date Deposited: 06 Dec 2020 12:12
Last Modified: 06 Dec 2020 12:12
URI: http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/1969

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