Wissenschaft und Traum: Legitimierung von Wissen in der Frühen Neuzeit

Schirrmeister, Albert (2002) Wissenschaft und Traum: Legitimierung von Wissen in der Frühen Neuzeit. UNSPECIFIED. (Unpublished)

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Abstract

Traditionell wird in der Wahrnehmung der frühneuzeitlichen Wissenschaft die Nachprüfbarkeit von Wissen als grundlegendes Kriterium ihrer Neubegründung angenommen. Die experimentellen Praktiken erscheinen in den frühneuzeitlichen Naturwissenschaften als das rationale Verfahren, Wissenschaftlichkeit herzustellen. Diesen wird gemeinhin durch Inspiration erworbenes Wissen als konträr und dem Bereich der Künste zugehörig gegenübergestellt. Geträumte Äußerungen können jedoch durch die außergewöhnliche Wahrnehmungsform, auf die sie sich berufen, zwar zuweilen als subversiv, doch häufig gerade dadurch als rational erscheinen. Denn eine subversive Pose und von sozialen oder kulturellen Standards abweichende Positionierung kann sich durch die Berufung auf eine abweichende und exklusive Erkenntnisform ihrer Subversivität versichern und zugleich der Haltung eigene Autorität zuweisen.
Dies kann, wie ich in meinem Beitrag zeigen möchte, gerade in Kontexten der frühneuzeitlichen Wissenschaftskonstituierung ein erfolgversprechender Weg sein, neue Erkenntnisse ebenso wie neue soziale und kulturelle Standards durchzusetzen. Durch die Präsentation einer Argumentation als Traum kann sowohl der Träumer seine eigene soziale und kulturelle (professionelle) Positionierung verschieben als auch dem Gegenstand seiner Argumentation eine andere Legitimität verleihen. Berührt ist damit also weniger der Bereich der Entdeckung von Wissen sondern vielmehr als Teil einer "Sozialgeschichte der Wahrheit" im Sinne Steven Shapins die Rechtfertigung und Legitimierung von Wissen und Wissensformen in der akademischen Konkurrenz.
In das Zentrum meines Referates möchte ich astronomische Schriften Johannes Keplers stellen. Gegebene Kontexte des Themas sind die sozialen und kulturellen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Kunst, zwischen Naturwissenschaft (insbesondere Astronomie) und Naturphilosophie und Theologie. Die Analyse wird sich deshalb an folgenden Fragenkomplexen orientieren:
A. In welchen Bereichen der Wissenschaften und der gelehrten Welt werden Träume als eine Möglichkeit anerkannt, den Wissensstand zu verbessern? Wie sind daraufhin die Effekte auf das Wissen, wenn Träume anerkannt werden. Wie also verändern Träume die Qualität der Wissenschaft ?
B. Wer träumt über welche Themen, wessen Träume werden von der wissenschaftlichen Disziplin anerkannt und wo finden sich soziale und kulturelle Grenzen?
C. Wie verändern und beeinflussen die sozialen Orte des Wissens wie Hof, Universität, Akademie u.a. die Formen des Wissens?

Naturwissenschaft und Literatur
Seit ungefähr 1610 konzipierte Johannes Kepler seinen Somnium. Dieses erst posthum 1634 gedruckte Werk über die Mondastronomie erzählt in einer vielfachen Maskierung die Reise eines Dämons zum Mond. Kepler erzählt, er sei nach seiner Beobachtung von Mond und Sternen für außergewöhnliche Wahrnehmungen empfänglich gewesen. Dann habe er geträumt, er würde in einem Buch eine Geschichte lesen, erzählt von einem gewissen Duracato, Sohn einer Hexe aus Island. Duracato und seine Mutter Fiolxhilde habe der Dämon wiederum die Geschichte seiner Reise und die lunare Astronomie berichtet. Kepler weicht auf die literarische Form der Traumerzählung aus, um das anerkannte geozentrische Konzept anzugreifen. Durch den Traum kann er sich einerseits selbst vom Inhalt des Textes distanzieren und seine eigene Verantwortung für die Argumentation reduzieren. Paolo Rossi meint, die Verschleierung von Erkenntnis charakterisiere wissenschaftliche Verfahrensweisen im 17. Jahrhundert. An diesem Punkt verhelfe der Anspruch der Literatur, Wahrheit zu verkünden, den wissenschaftlichen Hypothesen zu Autorität. Paolo Rossi nennt als Beispiele für diese Methode Descartes und Galilei. Man kann auch auf die Diskussion des Traumgedichts von Petrus Lotichius Secundus über die Zerstörung Magdeburgs in Zedlers Universallexikon verweisen, in der das Für und Wider für die Annahme eines prophetischen Charakters abgewogen wird. Kepler nutzt also

Item Type: Other
Uncontrolled Keywords: graduiertenkonferenz, kulturwissenschaften
Subjects: Kulturwissenschaften, cultural studies > Graduiertenkonferenz: Wissenschaftskulturen - Experimentalkulturen - Gelehrtenkulturen
Depositing User: Caroline Gay
Date Deposited: 06 Dec 2020 12:33
Last Modified: 06 Dec 2020 12:33
URI: http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/2146

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