Kräfte Messen Die Maschine von Marly und die Kultur der Technik 1680-1840

Brandstetter, Thomas (2006) Kräfte Messen Die Maschine von Marly und die Kultur der Technik 1680-1840. UNSPECIFIED thesis, Bauhaus Universität Weimar.

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Abstract

Die Arbeit beschäftigt sich mit der Entstehung eines ökonomischen Kraftmaßes am Beispiel der Maschine von Marly im Zeitraum von ca. 1680 bis 1840. Die Leitthese der Dissertation besagt, dass vom 17. zum 19. Jahrhundert eine grundlegende Transformation des Maschinenbegriffs stattfand, die als Übergang vom Substanzbegriff zum Funktionsbegriff der Maschine bezeichnet werden kann. Im 17. Jahrhundert wurden mechanische Apparate als in sich geschlossene, selbstbezügliche Strukturen aufgefasst. Als anschaulich erfahrbare Objekte konnten sie als Bildgeber dienen, die mittels des Verfahrens der Strukturanalogie Erklärungsmuster für verschiedenste Phänomene (Körper, Staat, Welt) boten. Demzufolge galten sie als selbstevident: sie waren erklärend und mussten selbst nicht erklärt werden. Ihr etwaiger Zweck und ihre Einbettung in gesellschaftliche Zusammenhänge spielten dabei keine Rolle. Wie anhand der Beschreibungen und Darstellungen aus jener Zeit nachgewiesen werden kann, wurde die Maschine von Marly innerhalb dieser Episteme als architektonisches Objekt wahrgenommen, bei dem vor allem das Zusammenspiel der einzelnen Elemente Aufmerksamkeit erregte. Wie andere Maschinen auch stand sie unter dem Primat der Sichtbarkeit. Man war davon überzeugt, dass die Eigenschaften einer Maschine von der strukturellen Anordnung ihrer Bauteile abhingen und glaubte, ihre Qualität an ihrer Gestalt ablesen zu können. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts tauchte die Maschine von Marly in den Schriften physiokratischer Autoren auf. Zuerst diente sie dort als Beispiel für die Verschwendungssucht Louis" XIV. und als Metapher für eine schlechte Einrichtung des Staates. Doch zunehmend begann man, sie auch in ihrer Faktizität als technisch-politisches Objekt zu begreifen. Man kritisierte ihre aktuelle Nutzung und schlug andere Möglichkeiten ihrer Verwendung vor, etwa die Bewässerung von Feldern oder die städtische Trinkwasserversorgung. Damit war die Maschine von Marly nicht länger ein Modell für die Einrichtung des Staates, das nur am Maßstab der immanenten Perfektion beurteilt werden konnte. Vielmehr war sie nun ein Instrument der Regierung, das sich als Teil eines staatlich verfassten Gemeinwesens verantworten musste. Als solches wurde sie auch zu einem bevorzugten Gegenstand aufklärerischer Reformprojekte. Das zeigt sich besonders deutlich am Wettbewerb, den die Pariser Akademie der Wissenschaften 1784-1786 organisiert hatte und der Vorschläge zur Verbesserung oder Ersetzung der Maschine von Marly zum Gegenstand hatte. Die Auswertung der mehr als 100 eingereichten Projekte und Memoranden ermöglicht einen einzigartigen Blick auf die Hoffnungen und Wünsche, die Ende des 18. Jahrhunderts an die Erfindung technischer Geräte gekoppelt waren. Um 1800 kann man die allmähliche Entstehung eines Funktionsbegriffs der Maschine bemerken. Lazare Carnots Essai sur les machines en général, der eine in der Sprache der Algebra artikulierte Definition der Maschine beinhaltete, trug maßgeblich dazu bei, die Anschaulichkeit zugunsten eines operativen Symbolismus zu delegitimieren. Erst dadurch war die Formulierung eines Effizienzkalküls möglich. Ergänzt wurde diese Formalisierung durch den Diskurs der Industrialisierung, in dem technische Apparate zunehmend als Produktionsmittel verstanden wurden. Die Maschine von Marly war ein wichtiger Schauplatz für die Entstehung eines ökonomischen Kraftmaßes. Nicht nur wurden dort Experimente mit verschiedenen Messinstrumenten (Dynamometern) durchgeführt, auch diente sie Joseph Montgolfier als Beispiel um zu beweisen, dass Kraft als Geldwert ausgedrückt werden könne. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhundert wurden Maschinen schließlich relational als Positionen innerhalb eines nationalen Produktionssystems definiert. Sie galten als Krafttransformatoren, bei denen ein bestimmter Input von ‚force motrice" einen entsprechenden Output von ‚travail utile" ergeben würde. Ihre vornehmlichste Aufgabe war die möglichst effiziente Ausnutzung der Kraftressourcen. Den vorläufigen Endpunkt erreichte die Entstehung des ökonomischen Kraftmaßes um 1830 mit der Formulierung des Begriffs der ‚mechanischen Arbeit".

Item Type: Thesis (UNSPECIFIED)
Uncontrolled Keywords: Maschine; Maschine von Marly; Carnot; mechanische Arbeit
Subjects: Philosophie > Philosophische Disziplinen > Technikphilosophie, Künstliche Intelligenz
Philosophie > Philosophische Institutionen > Institut für Philosophie, Wien
Depositing User: Wolfgang Heuer
Date Deposited: 06 Dec 2020 14:09
Last Modified: 06 Dec 2020 14:09
URI: http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/2830

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