Fröhlich, Gerhard (2002) Verein-Wissenschaft. In: Ehrenamt und Leidenschaft. Vereine als gesellschaftliche Faktoren. Salzburger Landesinstitut für Volkskunde, pp. 255-278.
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Abstract
Wissenschaft als Werk einsamer Heroen? Noch heute stellen naturwissenschaftliche Lehrbücher die Geschichte ihrer Disziplinen als kontinuierliche Abfolge von Ideen und Ahnenreihe einsamer Heroen dar. Diese seit jeher fragwürdigen Klischees sind unter heutiger "Big Science" vollends obsolet: Nach Karl Popper ist Wissenschaft nicht auf der Objektivität der Wissenschaftler gegründet, sondern auf dem "öffentlichen Charakter" wissenschaftlicher Methoden - freier Kritik und funktionstüchtiger Wissenschaftskommunikation. Konkurrierende Hypothesen bräuchten Anwälte, Geschworene und ein Publikum, die Organisation von Status, Glaubwürdigkeit und Priorität. Die rasche Wissensakkumulation seit dem 17. Jh. ist historisch neu. Die Herausbildung der Wissenschaften als eigenes Feld erfolgte auf einem "katholischen" Weg in Italien (Galileo Galilei), auf einem "protestantischen" in England (die Gründung der "Royal Society"). Der (lücken- und fehlerhafte) "World Guide to Scientific Associations and Learned Societies" verzeichnete 1998 ca. 17 000 Gesellschaften und Institute in Vereinsform. Fast alle außeruniversitären Institute sind vereinsrechtlich konstituiert. Ihnen kommt große Bedeutung zu, als sich neue theoretische Ansätze, Spezialisierungen wie auch interdisziplinäre Integrationsversuche oft außeruniversitär etablieren müssen und erst Jahrzehnte später in Universitäten eindringen können. Arbeitskreise, Kongresse, Kongressakten, Buchreihen, Journale, Grauer Literatur, Öffentlichkeitsarbeit, Bibliografien, Datenbanken, Thesauri, ja Entwicklung und Durchsetzung des Internets wurden und werden maßgeblich von Vereinen organisiert. BibliothekarInnen, DokumentarInnen, ArchivarInnen erfüllen wichtige Aufgaben für den Wissenschaftsbetriebes, werden aber vielfach "arroganterweise" nicht zum "eigentlichen wissenschaftlichen" Sektor gezählt. Ihre Verbände fördern die Weiterbildung ihrer Mitglieder, angesichts rasanter informationstechnologischer Änderungen. Die Macht der Funktionäre ist mitunter groß. Mitglieder einflussreicher Seilschaften ("old boys networks") können einander symbolische Macht und Belohnungen (Posten, Preise) zuschanzen. Die modernen Wissenschaften hätten sich ohne die Aktivitäten wissenschaftlicher Vereinigungen kaum entwickeln und halten können. Laboratorien, Kongresse, Journale - ja das Internet selbst - verdanken Existenz, Durchsetzung und Fortbestand wissenschaftlich-technischen Vereinen.
Item Type: | Book Section |
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Uncontrolled Keywords: | Wissenschaftsgeschichte, wissenschaftliche Gesellschaft, wissenschaftliche Vereine, Verein, Wissensgesellschaft, Informationsgesellschaft |
Subjects: | Wissenschaftsforschung, Wissenschaftsgeschichte Kulturwissenschaften, cultural studies |
Depositing User: | E. Schwabe |
Date Deposited: | 06 Dec 2020 14:43 |
Last Modified: | 06 Dec 2020 14:43 |
URI: | http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/3041 |