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ein paraphilosophisches Projekt nicht in der Zeit, aber: an der Zeit |
Missglückte Repatriierung (La Mettrie) |
Missglückte Repatriierung
Zu Fayards Edition von La Mettries »uvres philosophiques«
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La Mettrie - Rapatriement raté À propos l'édition Fayard des »uvres philosophiques« de La Mettrie |
Julien Offray de La Mettrie (1709-1751) nimmt unter den französischen Aufklärern eine Sonderstellung ein, die sich auch in der Editionsgeschichte seiner Werke spiegelt. Als normal zu jener Zeit kann gelten, dass seine Schriften meist ausserhalb Frankreichs, in Holland und Preussen, erscheinen mussten. Ein Sonderfall wurde La Mettrie, weil er nicht nur von den Mächten des ancien régime verfolgt wurde, sondern weil ihn die anderen Aufklärer in seltener Einmütigkeit mit Schweigen und Verachtung übergingen. So wurde La Mettrie, trotz mehrerer Auflagen, die seine »uvres« noch im 18. Jahrhundert erreichten, zunächst zur Unperson und bald zum Vergessenen.
La Mettrie, der in seinem preussischen Exil am Hofe Friedrichs II starb, ist bis heute nicht in sein Vaterland zurückgekehrt. In Frankreich hat man ihn als Philosophen noch kaum zur Kenntnis genommen. In seinem Exilland indes wurde er zweimal wiederentdeckt. Friedrich Albert Lange sah 1866 in ihm "einen der geschmähtesten Namen der Literaturgeschichte", den er in seiner berühmten »Geschichte des Materialismus« zu rehabilitieren versuchte. Langes Bemühungen blieben letztlich vergeblich, wohl deshalb, weil er den Gründen, die die Aufklärer für die Ächtung La Mettries hatten, nicht genug nachgegangen war. Erst Panajotis Kondylis unternahm es 1981 in seiner grossen Studie über die Aufklärung, diese Gründe genauer zu bestimmen, und erst damit wurde La Mettrie wieder zu einer interessanten Figur [vgl. dazu Kondylis -- unfreiwilliger Pate des LSR-Projekts], zumindest hierzulande: 1985-87 erschienen seine wichtigsten Schriften in deutscher Übersetzung.
Als vor einigen Jahren [Mitte der 80er Jahre] das renommierte Pariser Verlagshaus Fayard ankündigte, innerhalb seines Corpus des uvres de philosophie en langue française, eines verlegerischen Jahrhundertprojekts unter der Leitung von Michel Serres, das auf über 600 Werke angelegt ist, auch La Mettries philosophische Werke [erstmals seit dem 18. Jhdt.] neu zu edieren, hätte dies ein Zeichen für die seit langem überfällige Repatriierung des Philosophen sein können. Die jetzt vorliegenden Bände enttäuschen jedoch eine solche Erwartung gründlich; sie zeigen vielmehr, dass man in Frankreich La Mettrie noch immer nicht kennt und ihn nur routinemässig in den Corpus mit aufgenommen hat.
Eine mit weniger Kompetenz gestaltete Edition von La Mettries »uvres philosophiques« lässt sich in der Tat kaum vorstellen. Band I ist schlicht ein Neudruck der Ausgabe von 1751, der einzigen, die noch zu Lebzeiten des Autors erschienen ist. Diese Ausgabe zeichnet sich jedoch nicht durch höhere, sondern durch geringere Authentizität gegenüber späteren aus, und zwar aus einem besonderen Grund: Sie entstand auf Veranlassung von La Mettries Exilherrn Friedrich II, der ihn als wohl einzigen philosophischen Autor zensierte und ausgerechnet sein Hauptwerk, den Discours sur le bonheur, unterdrückte. Die ahnungslose Herausgeberin Francine Markovits nimmt den Discours (das "corpus delicti" des Philosophen, das der freisinnige König, wie Lessing --beifällig! -- notierte, eigenhändig ins Feuer geworfen hatte) dann zwar zu den "Miszellen" den Bandes II, aber unglücklicherweise in der kürzesten von drei überlieferten Versionen. Doch damit nicht genug: Zur Auffüllung des zweiten Bandes dienten ihr eine rein medizinische Schrift La Mettries (der Arzt war), Traité du vertige, und zwei anonyme Schriften, die gar nicht von La Mettrie stammen: L'homme plus que machine und Vénus métaphysique. Dafür fehlen zwei wichtige Schriften: Ouvrage de Pénélope ou Machiavel en Médecine ("aus Platzmangel") und Le petit homme à longue queue (ohne Angabe eines Grundes).
Fazit: Die erste Neuedition von La Mettries »uvres philosophiques« seit zwei Jahrhunderten bietet keinerlei Vorzug gegenüber der zur Zeit bestzugänglichen Ausgabe, einem Olms-Reprint des Berliner Drucks von 1774; sie stiftet vielmehr Verwirrung durch die (nicht als solche gekennzeichnete) Aufnahme fremder Texte. Der deutsche Leser indes hat die Möglichkeit, auf eine Werkausgabe zurückzugreifen, die eine Auswahl der wichtigsten Texte, insbesondere auch den Discours sur le bonheur, vollständig und zuverlässig kommentiert enthält.
Julien Offray de La Mettrie: »uvres philosophiques«, texte établi par Francine Markovits. Paris: Fayard 1987. Col. Corpus des uvres de philosophie en langue française. T.1, 388p., 160 FF; T.2, 353p., 150 FF
geschrieben im März 1989 (unveröffentlicht)
Bernd A. Laska: Dokumentation und Anmerkungen zum Buch Pornosophie und Imachination
von Michael Pfister und Stefan Zweifel |
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