Hartmann, Frank (1999) Netzkultur, Kulturkritik und die 'elektronische Herausforderung'. UNSPECIFIED. (Unpublished)
neties99.htm
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Abstract
Der Computer als zentrales Medium ist aus unserer Kultur kaum mehr wegzudenken. Aus dem enigmatischen numberchruncher wurde zunächst ein freundlicher wordprocessor, der uns als personalisierte Maschine die Angst vor dem übermächtigen Elektronengehirn genommen hat. Dann vollzog sich seine heimliche Transformation vom Werkzeug der Datenverarbeitung hin zum Medium - zum Medium kommunikativen Austausches und der Vernetzung von Informationsressourcen. In der nahen Zukunft wird der Computer in der Form und mit der technischen Struktur, die wir heute gewohnt sind, wohl verschwinden: Mikrologisierung, erweiterte Speicher und neu entwickelte Interfaces ermöglichen ein ubiquitous computing, und während die Hardware sich fragmentiert, wird Software in die Gegenstände der Alltagskultur integriert: schon arbeitet die Cashcard mit Java, der Kochtopf bald mit Jini, und Manager freuen sich auf die nächste Generation von Smartphones.
Man kann wohl sagen, der Computer beeinflusse die Kultur, aber genausogut argumentieren, daß die Kultur den Computer beeinflußt. Wir sind gewohnt, in Kausalitäten zu denken, doch man kommt so nicht weiter, wenn Technik einerseits, Kultur andererseits als Entitäten gefaßt werden. Der Computer ist nicht nur zentrales Medium unserer Kultur, der Computer im Zustand der fortgeschrittenen Vernetzung ist Kultur. Das widerspricht der unreflektierten Deutung, die den Fortschritt an der technologischen Entwicklung mißt und ihn überhaupt kausal auf Technik bezieht. Für sie ist Technik ein leeres Gefäß, das man dann mit Inhalten aus Kunst und Kultur füllt. Es wäre aber ein Fehler, den Zusammenhang zwischen Kultur und Technik als eine Einbahnstraße zu denken. Diesen Fehler macht die konservative Kulturkritik, wenn sie aus der Angst vor Veränderungen - die immer auch symbolischen wie realen Machtverlust bedeuten - technikfeindlich argumentiert. Aus der Enttäuschung darüber, daß der Fortschritt nicht dem reinen Geist entspringt, sondern der Ingenieurskunst und der technischen Massenproduktion, werden sie zu Maschinenstürmern auf gehobenem Niveau - ein gutes Beispiel ergeben hier die hysterischen Texte von Paul Virilio, dem die Teletechnologien mit ihren netzartigen Strukturen und der Telepräsenz eine "Tyrranei der Information" bedeuten. [1] Welche Dramatik der Begrifflichkeit, die vom Feuilleton hier begierig aufgesogen wird! Eine Kritik der pathetischen Termini, mit denen die neuen Medienkulturfunktionäre so gern hausieren gehen, steht dringend an: Revolution, Krieg, Geschwindigkeit. Die platte Rhetorik der Digerati, die hier von einer "digitalen Revolution" schwatzen und überall ominöse "Herausforderungen" sehen, dient eher der emphatischen Überhöhung der eigenen Rolle, als daß sie zum Verständnis der neuen Phänomene etwas hergeben würde. Sozialpsychologisch gesehen handelt es sich bei dieser Ideologie um eine Identifikation mit dem Aggressor, mit der bestimmte Grundannahmen einer Mittelklasse-Lebens- und Arbeitskultur blind reproduziert, und weiters Top-down-Modelle der sozialen Organisation undifferenziert generalisiert werden.[2]
Item Type: | Other |
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Uncontrolled Keywords: | Netzkultur, Medienphilosophie, Computer |
Subjects: | Philosophie > Philosophische Disziplinen > Medienphilosophie, Theorie der Virtualität, Cyberphilosophie |
Depositing User: | sandra subito |
Date Deposited: | 06 Dec 2020 12:18 |
Last Modified: | 06 Dec 2020 12:18 |
URI: | http://sammelpunkt.philo.at/id/eprint/2021 |