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Orientierungssysteme

Das 18. Jahrhundert markiert in Europa das Ende der antiken Welt im Druckwesen und in den Techniken. Es bietet uns den größten Traditionsreichtum und zugleich die ersten Ansätze jener Transformation, aus der unser heutiger Zustand hervorgegangen ist. In den Büchern verschlingt das soziale Gedächtnis in wenigen Jahrzehnten die gesamte Antike, die Geschichte der großen Völker, Geographie und Ethnographie einer Welt, die endgültig Kugelgestalt angenommen hat, Philosophie, Recht, Wissenschaften, Künste, Techniken und eine aus zwanzig verschiedenen Sprachen übersetzte Literatur. Der Strom wird sich bis zu uns noch verbreiten, aber berücksichtigt man die Proportionen, so hat es zu keinem anderen Zeitpunkt in der menschlichen Geschichte eine so schnelle Ausdehnung des kollektiven Gedächtnisses gegeben. [Leroi-Gourhan, 1995, 327]
Das Problem Wissen verlagert sich weiter und die Publikationsfülle wächst unaufhörlich. So kommt der Bibliothekar Fremont Rider 1944 zur verblüffenden Erkenntnis, dass sich alle sechzehn Jahre der universitäre Bibliotheksbestand verdopple. Wir wissen heute, dass Riders statistischer Beweis nicht stimmte, aber dennoch war er es, der die Karteikarte (engl.: microcard) zum Standard für ein Orientierungsystem in den Bibliotheken einführte, um dem trotz allem problematisch erscheinenden Publikationswachstum Herr zu werden. [Molyneux, 1996]
Das kollektive Gedächtnis erreichte im 19. Jahrhundert einen solchen Umfang, daß man von einem individuellen Gedächtnis nicht länger erwarten konnte, den Inhalt der Bibliotheken in sich aufzunehmnen. Es erwies sich als notwendig, das im gedruckten Gehirn der Gemeinschaft erstarrte Denken durch ein zusätzliches Netz zu organisieren, auf das sich ein überaus vereinfachtes Bild des Inhaltes projizieren ließ. Vor allem war es unerläßlich, daß die Zellen dieses neuen Netzes unbegrenzt erweitert und durch geeignete Umorganisation jeder möglichen Suchanordnung im dokumentarischen Material angepaßt werden konnten. [Leroi-Gourhan, 1995, 329]
Bis zur Einführung von Karteikartensystemen wurden im 18. und teilweise noch im 19. Jahrhundert lediglich Notizbücher und Buchkataloge für eine Orientierung in den Bibliotheken verwendet.
Heute sind Datenbanksysteme zum Standard in jeder größeren Bibliothek geworden, die manchmal sogar über eine Internetsuchmaske von überall aus der Welt nach den gewünschten Kriterien abgefragt werden können. Dies übertrifft wohl einen Traum von Goethe, der sich für einen Abgleich der Aufzeichnungen der Bücherbestände in den Bibliotheken zu Jena und Leipzig einsetzte.
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Nikolai Jursic 2004-03-05